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Der Mond? - eine Enttäuschung

Meine Schwester und ich waren bei unseren Großeltern zu Besuch. Ich konnte damals noch Hell und Dunkel unterscheiden.

Es war Abend und meine Oma, meine Schwester und ich standen auf dem Balkon. Da sagte Oma zu mir: "Mach mal den Kopf nach hinten."

"Wieso?"

Ich erhielt einen leichten Schubs vor die Stirn. Ach ja, ich vergaß, Nachfragen war bei Oma nicht immer die beste Idee. Mein Kopf war durch das Zusammentreffen von Omas Hand mit meiner Stirn nach hinten gefallen, sodass ich nun zwangsweise nach oben sah.

Ich schaute direkt in eine große, runde Straßenlaterne.

"Und kannst du's sehen?" fragte Oma.

Ja, sehen konnte ich das Licht. Aber ich wollte nicht glauben, was ich da sah. Bestimmt täuschte ich mich. Ich schaute noch mal hin. Doch, das war so eins von diesen Lichtern, die abends in der Stadt auch immer angingen. Wozu sollte das denn hier gut sein?

Ich setzte meinen Kopf wieder gerade und fragte halb entsetzt: "Aber Oma, warum hast du denn eine Straßenlampe auf deinem Hof anbringen lassen?"

Oh, diese Frage war, aus irgend welchen Gründen, auch wieder falsch. Das hörte ich schon am Luftholen. Und da war auch schon die Antwort:

"Straßenlampe! Das ist der Mond! Vollmond haben wir!"

Vollmond? Erst als wir in unseren Betten lagen, fand ich Zeit, so recht darüber nachzudenken. Vollmond? Nein! Das konnte doch nicht sein? Der Mond musste doch was schönes sein, was ganz doll Schönes. Schöner als das Licht, welches ich auf dem quadratischen Blechdeckel der Keksdose sah, wenn ich ihn, schräg vor mich haltend, durch die beleuchtete Wohnung trug. Auch schöner als Kerzenlicht. Schließlich wurde der Mond überall besungen. "Abends in der Mondscheinallee" "Der Mondschein schien schon schön" Viele Lieder gab es über den Mond und Gedichte gab es auch. Schöne, romantische Gedichte. Beim Bäcker gab es Halbmonde, die schmeckten gut. Es gab Spieluhren als kuschelige halbe Monde und das Lied: "Der Mond ist aufgegangen."

Gut, in Gruselmärchen war auch immer gerade der Mond an. Aber sonst wurde er doch überall als etwas Schönes betrachtet. Der Mond war doch was Schönes und Ruhiges. Für Kinder bedeutete er Schlafen. Für Erwachsene musste er wohl was Liebes bedeuten. Denn in den Liedern kamen immer Verliebte vor.

Nein wirklich! Ein liebes, schönes Schlaf-schön-licht konnte doch nicht aussehen wie eine Straßenlampe! Was war denn daran besonders? Den Mond hatte ich mir ganz anders vorgestellt. Ich war enttäuscht. Das Sehen hatte mir den Mond entzaubert.

Diese Erfahrung hatte aber auch ihr Gutes. Es kommt manchmal vor, dass mir ein sehender Mensch in ruhiger Nacht, bei wunderbarer Luft, ganz fasziniert den Sternenhimmel und den Mond beschreibt. Einem Sehenden bei seiner Sternenhimmelbeschreibung zuzuhören, könnte fast ein Hobby werden. So schön klingt das immer. Doch ich hatte nie mehr den Wunsch, das schön Beschriebene selbst zu sehen.

Yvonne Ramm

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© 2005 by Yvonne Ramm
Erstellt am Do, 08.02.07, 08:01:19 Uhr.
URL: http://anderssehen.at/alltag/berichte/mond.shtml

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