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Hirschhorn

Hirsche haben keine Hörner, aber dennoch gibt es Hirschhornsalz! Eines so irrwitzig wie das andere, da man aus dem, was es nicht gibt, unmöglich einen Gewinn ziehen kann, aber es gibt es! Das Salz vom Hirschhorn.

Ich hatte noch nie davon gehört, denn ich benutze Backpulver als Triebmittel. Ich hätte es auch den Rest meines Lebens weiter damit getrieben, wenn nicht Freund Rüdiger eine Allergie dagegen gehabt hätte.

Diesen Mann wollte ich beeindrucken und zum Mittagessen einen Kirschenmichel machen. Nun hatte ich das Tütchen mit dem salzigen Hirschhorn und wußte nicht recht, wie ich es portionieren sollte. Ich entschloss mich, es wie Backpulver zu handhaben, mischte alles beisammen und schob es in den Ofen, um es seinem Schicksal zu überlassen. Derweil deckte ich schön den Tisch, denn nicht nur Rüdiger, sondern auch mein Sohn hatte sich zum Essen angekündigt.

Beide kamen und hatten "lange Zähne", wie es bei uns heißt, wenn jemandem der Zahn schon vor lauter Lust und Gier tropft, und setzten sich an den Tisch. Ich öffnete vorsichtig den Ofen, um mein "Werk" zu betrachten. Wie Lava brodelte die Masse in der Auflaufform, eklig blubbernd und von der Konsistenz noch viel zu schlabbrig. Ich vertröstete meine Mitesser, die Erwartung stieg. Meine innere Anspannung auch.

Als der Michel schon lang über die Zeit war, und meine Gäste versicherten, sie würden den Auflauf auch trinken, wenn sie ihn nur endlich bekämen, holte ich ihn heraus. Die Masse floß zäh über den Teller, stoppte aber zum Glück am Tellerrand. Statt des Auflaufs stockten wir, und zwar der Atem. Der Kirschenmichel hatte eine graugrüne Farbe und beißender Gestank brachte uns zum Weinen. Uns liefen die Tränen, denn es roch nach Ammoniak. Ich weiß nicht wie diese chemische Reaktion ausgerechnet in meinem Essen ablaufen konnte, aber es war nun mal geschehen. Freund Rüdiger wollte die Situation retten und entschärfen, indem er von einem LKW-Transport mit Dauerwellenflüssigkeit erzählte, der mal vor ihm auf der Autobahn verunglückt war. Der hätte ähnlich gerochen ...

Meine Stimmung sank, und ich machte den Vorschlag, das Zeug zu entsorgen. "Sondermüll, Mama?", fragte mein entzückendes, umweltbewußtes Kind und gab mir damit den Rest.

Wir gingen in ein italienisches Restaurant, wo ich mir beim ersten Bissen den Mund verbrannte und anschließend nichts mehr schmeckte. Den Mann habe ich verlassen, und somit ist auch das Hirschhornsalz aus meinem Leben verschwunden. Ich konnte nicht damit umgehen. Mit beiden.

Ulrike Geilfus

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© 2003 by Ulrike Geilfus
Erstellt am Mi, 29.01.03, 08:01:19 Uhr.
URL: http://anderssehen.at/alltag/passiert/hirsch.shtml

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