Über den gelben Sand der Wüsten des weiten Landes al-Ahrak spannt sich Tag für Tag der gleiche, ewig blaue Himmel; die Hitze flimmert, und die paar Kamele, die da unten über ein Land getrieben werden, das ähnlich karg ist wie der Mars, finden kaum einen Schluck Wasser zum Saufen. Ihren Treibern geht es nicht besser. Denn in der weiten Wüste gibt es nur zwei nennenswerte Flüsse, Ephar und Tigirrh geheißen, an deren Ufern ein paar Bauern Datteln und Feigen wachsen lassen. Diese Früchte aber sind von so vollendetem Geschmack, daß sie in der Welt ihresgleichen suchen und dort auch sehr gewinnbringend verkauft wurden. Und das könnte sicher heute noch so sein, wenn nicht die Elysier... Aber dazu später.
Eines Nachmittags tritt Hussein Sallah, der Herrscher von al-Ahrak, auf
den Balkon seines Palastes hinaus und wendet seinen Blick gen Mekka, wie
er es gelegentlich zu tun pflegt. Da sieht er eine dunkle Wolke am Horizont
auftauchen, ganz klein noch am Anfang, aber unübersehbar, denn Wolken sind
hier etwas außergewöhnlich Seltenes, und diese hier schon ganz und gar,
denn sie kommt zu ungewöhnlicher Zeit und wird rasch größer.
Und noch ehe sich der Herrscher so recht über die Wolke wundern kann,
bedeckt sie bereits den ganzen südlichen Himmel; noch eine Weile, und nur
am nördlichen Horizont ist noch ein kleiner, blauer Fleck zu sehen, dem
Ausgang eines Tunnels vergleichbar, aber auch der ist bald verschwunden.
Eine ganze Zeit lang ist es still, ganz still, und das Einzige, was
passiert, ist, daß die Dunkelheit allmählich zunimmt, so, als sollte über
al-Ahrak das schlimmste Unwetter seit Menschengedenken hereinbrechen.
"Hussein Sallah!" tönt es noch einmal lautstark vom Himmel herab, "Du
Schurke, antworte mir! Oder fürchtest Du Dich etwa?"
Nimm Dich jetzt fest zusammen, Hussein, denkt Sallah! Wer oder was das
da oben auch immer ist - mehr als töten kann es dich nicht. Und bis auf
ein paar Feiglinge und Verräter, die es immer und überall gibt, wird mein
Volk für mich einstehen! Dieser Gedanke beruhigt ihn, und gibt ihm neue
Kraft. Er zögert noch einen Augenblick, dann antwortet er:
"Ich, mich fürchten? Da müßte ich erst einmal wissen, vor wem! Wenn Du
auch nur halb so viel Mut hast, wie ich, dann sag wer du bist, und wenn
du noch mutiger bist, dann stell dich mir!"
"Gemach, Hussein Sallah! Noch ist die Zeit des Kampfes nicht gekommen!
Aber wer ich bin, das sollst Du wissen: Gorgolos Buccholios, der Oberste
der Elysier!" Pause. "Da fällt mir ein - du beduinischer Wüstenlümmel:
Weißt Du überhaupt, was das Elysium ist, he?"
"Natürlich weiß ich", entgegnet Sallah, "was das Elysium ist! Ich hatte
schließlich eine gute Schulbildung."
"Ja, das kann man wohl sagen! Einen deiner Lehrer hast du erschossen, als
du mal grade zwölf Jahre alt warst. Da hast du 's! Und so einem
gewalttätigen Schurken gelingt es später, fast das ganze Volk hinter sich
zu bringen! Weißt du, wie man einen Staat nennt, der von so einem Kerl
wie dir regiert wird? Einen Schurkenstaat!"
"Wenn du wirklich der Oberste der Elysier..."
"Halt 's Maul jetzt, du Schurke! Eigentlich könntest du in jedem billigen
Lexikon nachlesen, was das Elysium ist, aber weil ich allen Grund habe,
an deiner humanistischen und demokratischen Gesinnung zu zweifeln und weil
ich bei solchen, wie du einer bist, nicht davon ausgehen kann, daß sie
überhaupt jemals lesen gelernt haben, will ich dir sagen, was das Elysium
ist: ein sagenhaftes Land am Westrande der Erde, in dem sagenhafte Helden
ein kummerfreies Leben ohne Tod führen. Hast du gehört? Ohne Tod, mein
Lieber!"
"Du lügst! Haben euch Elysier nicht die Vichemanesen besiegt und viele
eurer angeblich so starken und unbesiegbaren Helden getötet? Wo sind die
Dummköpfe, die euch für unbesiegbar und unsterblich halten?"
"Überall, mein lieber Hussein, überall! Denn wir haben die größten
Zeitungen, Sender, Satelliten, Presse- und Nachrichtenagenturen,
Datenverarbeitungsanlagen, Medienkonzerne und noch dazu die besten
Geheimdienste. Auch haben wir ein ganzes Heer von Philosophen, Psychologen,
Pädagogen..."
"Demagogen", unterbricht ihn Hussein.
"Was? Du dreckige Wüstenratte wagst es, mich, Gorgolos Buccholios, den
Obersten der Elysier, zu unterbrechen? Wer, Hussein Sallah bist du,
eigentlich! Einfach unglaublich! Das hat seit den alten Greconen kein
Sterblicher mehr gewagt! Allein schon für diese Respektlosigkeit gegen das
Elysium müßte man dein Land mit Krieg überziehen. Solche wie du gehören
eigentlich auf den elektrischen..."
"Das ist aber nicht sehr demokratisch", unterbricht ihn Sallah, und
fährt fort: "Soweit ich weiß, Gorgolos Buccholios, haben praktisch alle
Deine Verbündeten die Todesstrafe bereits abgeschafft, weil sie meinen,
daß niemand das Recht hat, einem anderen das Leben zu nehmen, aber auch,
um Justizirrtümer korrigieren zu können, und sei es auch nach Jahren."
"Ja, die haben gut reden! Lassen uns Elysier ganz allein für die Sicherheit
der Welt sorgen und regen sich dann über Marginalien auf. Ich möchte die
mal in unserer hohen Verantwortung sehen! Die machen sich ja schon die
Hosen voll, wenn sie nach einem unserer Kampfeinsätze drei Handvoll
Soldaten in ein befriedetes Gebiet senden sollen."
"Ja, Deinen Frieden haben wir hier auch schon kennengelernt. Es ist der
Frieden armer Länder, in denen kaum noch Leben ist, denn ihr habt ihnen
jahrzehntelang alles Mark aus den Knochen gesaugt; der Frieden halb
verhungerter Länder, die ihr mit eiserner Hand von den Futtertrögen der
Weltwirtschaft fernhaltet, um sie dann in ihrer Schwäche besser in die
Knie zwingen zu können; der Frieden der Steinzeit, in der die Menschen
mühselig die Steine wieder zusammensetzen müssen, die ihr zerschlagen und
in alle Winde zerstreut habt, und wo die Weiber nicht einmal Zeit haben,
ihre Männer und Söhne zu beklagen, weil jede Hand gebraucht wird, damit das
Elend nicht ewig währt, der Frieden deiner Atombomben, die noch den
Urenkeln derer, die heute Säuglinge sind, in großer Zahl Kranke, Krüppel
und Mißgebildete bescheren werden. Sieh Dir die Denkmale deiner
Friedensmissionen einmal genau an! Tausend Jahre haben an den alten
greconischen Tempeln nicht halb so viel zerstört wie es eine elysische Bombe
in wenigen Sekunden könnte."
"Gut gebrüllt, Löwe Sallah! Verfolgst du in deinem Lande nicht selbst die
Kolomorden im Norden und die Sijüden im Süden? Warst du es doch, der
sich das Land der Kuwaden einzuverleiben versuchte, um uns den Ölhahn
zuzudrehen. Du bist es schließlich, der die Palatiner mit seinen Geldern
aus dem Ölgeschäft aufrüstet, daß sie gegen die friedlich auf heiliger
Erde siedelnden Jahweden einen Anschlag nach dem anderen verüben, auf daß
diese Weltgegend nie zu der von uns ersehnten Ruhe komme. Aber wir werden
dir das Handwerk schon legen! Du sollst nicht länger mit dem Säbel rasseln,
weder die Palatiner noch den Mörder Ala-Khan aufrüsten und unterstützen
oder die Kolomorden und Sijüden bekämpfen können, denn das widerstrebt uns;
und was uns widerstrebt, das muß von der Erde getilgt werden, denn wir
haben eine große Vision: Die ganze Welt ein Elysium! Du tätest also gut
daran, aufzugeben und zu verschwinden, oder besser noch, dich in unsere
Hand zu begeben; oder müssen wir dich Muselman wirklich mit Nachdruck
Moses lehren?"
Hussein Sallah, der Herrscher von al-Ahrak, überlegt:
Die Elysier sind mächtig, wohl die Mächtigsten der Erde, und Mut allein
reicht nicht, sie daran zu hindern, al-Ahrak zu vernichten. Ja, er hat
ein paar Kolomorden im Norden und ein paar Sijüden im Süden gegen sich,
das ist wahr, aber die Masse des Volkes steht fest hinter ihm.
Schurkenstaat hat Gorgolos Buccholios, der Oberste der Elysier zu ihnen
gesagt - Schurkenstaat! Er greift sich an den Gürtel, und seine Rechte
umschließt einen Augenblick lang den Griff seines Messers. Dann lächelt
er: Wohin sollte er stechen, etwa in den Himmel?
Hussein Sallah fängt an zu lachen. Er biegt und windet sich, lacht und
lacht und lacht, ein Lachen traurig und bitter, wütend und fröhlich
zugleich. Dann wirft er noch einmal den Kopf weit zurück, so heftig, daß
ihm dabei fast der Turban vom Kopf fällt, und schreit den düsteren
Himmel an: "Mach nur, Gorgolos Buccholios, mach nur, du Narr! Weiß doch
ein jeder auf Erden, daß ihr im Elysium immer noch glaubt, ihr wäret
unbesiegbar, ja unverwundbar. Und weil ihr eben das glaubt, meint ihr,
ihr könntet eine brennende Fackel in eine Scheune werfen, ohne daß da
auch nur ein Hälmchen Stroh anbrennt. Das mag einmal so gewesen sein,
aber diesmal ist es anders. Da sind es nicht nur die Vichemanesen,
oder Gooks, gegen die ihr kämpfen müßt, sondern die gesamte Menscheit.
Denn den Brand, den ihr da anzünden wollt, könnt ihr nicht mehr löschen,
beherrscht ihr doch nur mit großer Mühe die Brände in euren großen Wäldern.
Die Länder der Palatiner und der Jahweden werden brennen und die vieler
anderer Völker auch, denn es wird die letzte Gelegenheit für sie sein,
ihre Rechnungen mit euch zu begleichen. Und wir werden alle umkommen -
alle!"
"Und du? Fürchtest du dich nicht Hussein Sallah?"
"Nein. Ihr wollt mich doch sowieso töten, was hätte ich da zu fürchten?"
"Und dein Volk, Hussein, dein Volk? Bist du so herrschsüchtig, daß du
nicht einmal mit dem Erbarmen hast, du Schurke?"
"So höre, Gorgolos Buccholios, Oberster der Elysier! Mein Volk wird kämpfen
wie ein Mann; es wird sterben wie ein Mann, bis auf ein paar Feiglinge und
Verräter, die es immer und überall gibt, wird mein Volk für mich
einstehen!"
"So, meinst du!"
"Ja. Und wenn nicht, dann ist es auch egal. Denn selbst wenn ihr siegt,
müßt ihr für euch ein paar Fragen beantworten."
"Welche, Hussein Sallah?"
"Wovon wollt ihr essen, wenn alles Geschirr zerschlagen ist?
Was wollt ihr essen, wenn alle Speisen verbrannt sind?
Was wollt ihr trinken, wenn alle Gefäße leer und alle Brunnen vergiftet
sind?
Wer soll euch begraben, wenn ihr dann elend verschmachtet seid?
Und: Über wen wollt ihr dann noch herrschen?"
Als Hussein Sallah die letzten Worte gesprochen hat, geht ein heftiger Regen auf die Wüste zwischen den zwei Flüssen Ephar und Tigirrh nieder. Sallah ist ganz durchnäßt, denn er hat gar nicht gemerkt, daß es zu regnen begonnen hat. Ja, denkt er, vielleicht sind meine Bediensteten vorhin doch nur vor dem Regen und nicht vor den Elysiern geflohen. Und dieser Gedanke erfüllt ihn mit Zuversicht. Und mit den Worten: "Sollen sie nur kommen, die Elysier, wir werden sie schon den Koran lehren!" zieht er sich in seinen Palast zurück.
© 2002 by Falk Webel
Erstellt am So, 03.11.02, 08:01:19 Uhr.
URL: http://anderssehen.at/autoren/ahrak.shtml