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Der Herrscher von al-Ahrak und der Oberste der Elysier

I.

Über den gelben Sand der Wüsten des weiten Landes al-Ahrak spannt sich Tag für Tag der gleiche, ewig blaue Himmel; die Hitze flimmert, und die paar Kamele, die da unten über ein Land getrieben werden, das ähnlich karg ist wie der Mars, finden kaum einen Schluck Wasser zum Saufen. Ihren Treibern geht es nicht besser. Denn in der weiten Wüste gibt es nur zwei nennenswerte Flüsse, Ephar und Tigirrh geheißen, an deren Ufern ein paar Bauern Datteln und Feigen wachsen lassen. Diese Früchte aber sind von so vollendetem Geschmack, daß sie in der Welt ihresgleichen suchen und dort auch sehr gewinnbringend verkauft wurden. Und das könnte sicher heute noch so sein, wenn nicht die Elysier... Aber dazu später.

Wenn nur diese ewige Dürre nicht wäre! Um noch mehr Datteln und Feigen anbauen zu können, brauchte man Wasser. Man bohrte Löcher tief, sehr tief in das harte Wüstengestein und fand Öl, viel Öl, so viel, daß es bald wichtiger wurde als Datteln und Feigen, und selbst die kunstvoll gefertigten Schwerter, die einst die Hauptstadt Adammah so berühmt gemacht hatten, vergaß man darüber. Schließlich war auch die Entwicklung der Waffen vorangeschritten und der Herrscher von al-Ahrak weiß, daß er nicht ohne Neider auf sein Öl, seine Datteln und Feigen, seine Kamele, sein Wasser und seine tapferen Krieger ist, und das alles will er niemals aus der Hand geben, und wenn das schon sein müßte, dann wenigstens nicht kampflos. Seine größten Neider sind die Elysier. Die wollen freilich weder ahrakische Datteln noch Feigen oder Kamele, selbst das ahrakische Öl brauchen sie eigentlich nicht unbedingt, auch wenn sie es gern nebenbei mitnehmen. Die Elysier kennen und verfolgen nur ein Ziel: Die ganze Welt soll zum Elysium gemacht werden, selbst wenn sie dabei in Scherben fällt!

II.

Eines Nachmittags tritt Hussein Sallah, der Herrscher von al-Ahrak, auf den Balkon seines Palastes hinaus und wendet seinen Blick gen Mekka, wie er es gelegentlich zu tun pflegt. Da sieht er eine dunkle Wolke am Horizont auftauchen, ganz klein noch am Anfang, aber unübersehbar, denn Wolken sind hier etwas außergewöhnlich Seltenes, und diese hier schon ganz und gar, denn sie kommt zu ungewöhnlicher Zeit und wird rasch größer.
Und noch ehe sich der Herrscher so recht über die Wolke wundern kann, bedeckt sie bereits den ganzen südlichen Himmel; noch eine Weile, und nur am nördlichen Horizont ist noch ein kleiner, blauer Fleck zu sehen, dem Ausgang eines Tunnels vergleichbar, aber auch der ist bald verschwunden.
Eine ganze Zeit lang ist es still, ganz still, und das Einzige, was passiert, ist, daß die Dunkelheit allmählich zunimmt, so, als sollte über al-Ahrak das schlimmste Unwetter seit Menschengedenken hereinbrechen.

Ein greller Blitz, ein Donnerschlag, von dem, wie es Sallah scheint, die ganze Welt widerhallen muß. Und dann läßt sich eine Stimme vernehmen:
"Hussein Sallah!" "Allah! Allah! Allah!" hallt es von den Bergen um die Hauptstadt zurück. Der Herrscher sieht noch einige seiner Palastbediensteten fliehen, dann ist er mit der seltsamen Erscheinung allein. Gut so, denkt er. Wer sich fürchtet, der verkrieche sich besser jetzt, wo es noch Zeit ist! Das hier wird es wohl nicht alle Tage geben, und wenn Allah so etwas geschehen läßt, dann heißt es seinen ganzen Mut zusammennehmen. Und Hussein Sallah hat Mut, viel Mut! Wäre er sonst von seinem Volk an die Spitze des Staates gewählt worden?

III.

"Hussein Sallah!" tönt es noch einmal lautstark vom Himmel herab, "Du Schurke, antworte mir! Oder fürchtest Du Dich etwa?"
Nimm Dich jetzt fest zusammen, Hussein, denkt Sallah! Wer oder was das da oben auch immer ist - mehr als töten kann es dich nicht. Und bis auf ein paar Feiglinge und Verräter, die es immer und überall gibt, wird mein Volk für mich einstehen! Dieser Gedanke beruhigt ihn, und gibt ihm neue Kraft. Er zögert noch einen Augenblick, dann antwortet er:
"Ich, mich fürchten? Da müßte ich erst einmal wissen, vor wem! Wenn Du auch nur halb so viel Mut hast, wie ich, dann sag wer du bist, und wenn du noch mutiger bist, dann stell dich mir!"
"Gemach, Hussein Sallah! Noch ist die Zeit des Kampfes nicht gekommen! Aber wer ich bin, das sollst Du wissen: Gorgolos Buccholios, der Oberste der Elysier!" Pause. "Da fällt mir ein - du beduinischer Wüstenlümmel: Weißt Du überhaupt, was das Elysium ist, he?"
"Natürlich weiß ich", entgegnet Sallah, "was das Elysium ist! Ich hatte schließlich eine gute Schulbildung."
"Ja, das kann man wohl sagen! Einen deiner Lehrer hast du erschossen, als du mal grade zwölf Jahre alt warst. Da hast du 's! Und so einem gewalttätigen Schurken gelingt es später, fast das ganze Volk hinter sich zu bringen! Weißt du, wie man einen Staat nennt, der von so einem Kerl wie dir regiert wird? Einen Schurkenstaat!"
"Wenn du wirklich der Oberste der Elysier..."
"Halt 's Maul jetzt, du Schurke! Eigentlich könntest du in jedem billigen Lexikon nachlesen, was das Elysium ist, aber weil ich allen Grund habe, an deiner humanistischen und demokratischen Gesinnung zu zweifeln und weil ich bei solchen, wie du einer bist, nicht davon ausgehen kann, daß sie überhaupt jemals lesen gelernt haben, will ich dir sagen, was das Elysium ist: ein sagenhaftes Land am Westrande der Erde, in dem sagenhafte Helden ein kummerfreies Leben ohne Tod führen. Hast du gehört? Ohne Tod, mein Lieber!"
"Du lügst! Haben euch Elysier nicht die Vichemanesen besiegt und viele eurer angeblich so starken und unbesiegbaren Helden getötet? Wo sind die Dummköpfe, die euch für unbesiegbar und unsterblich halten?"
"Überall, mein lieber Hussein, überall! Denn wir haben die größten Zeitungen, Sender, Satelliten, Presse- und Nachrichtenagenturen, Datenverarbeitungsanlagen, Medienkonzerne und noch dazu die besten Geheimdienste. Auch haben wir ein ganzes Heer von Philosophen, Psychologen, Pädagogen..."
"Demagogen", unterbricht ihn Hussein.
"Was? Du dreckige Wüstenratte wagst es, mich, Gorgolos Buccholios, den Obersten der Elysier, zu unterbrechen? Wer, Hussein Sallah bist du, eigentlich! Einfach unglaublich! Das hat seit den alten Greconen kein Sterblicher mehr gewagt! Allein schon für diese Respektlosigkeit gegen das Elysium müßte man dein Land mit Krieg überziehen. Solche wie du gehören eigentlich auf den elektrischen..."
"Das ist aber nicht sehr demokratisch", unterbricht ihn Sallah, und fährt fort: "Soweit ich weiß, Gorgolos Buccholios, haben praktisch alle Deine Verbündeten die Todesstrafe bereits abgeschafft, weil sie meinen, daß niemand das Recht hat, einem anderen das Leben zu nehmen, aber auch, um Justizirrtümer korrigieren zu können, und sei es auch nach Jahren."
"Ja, die haben gut reden! Lassen uns Elysier ganz allein für die Sicherheit der Welt sorgen und regen sich dann über Marginalien auf. Ich möchte die mal in unserer hohen Verantwortung sehen! Die machen sich ja schon die Hosen voll, wenn sie nach einem unserer Kampfeinsätze drei Handvoll Soldaten in ein befriedetes Gebiet senden sollen."
"Ja, Deinen Frieden haben wir hier auch schon kennengelernt. Es ist der Frieden armer Länder, in denen kaum noch Leben ist, denn ihr habt ihnen jahrzehntelang alles Mark aus den Knochen gesaugt; der Frieden halb verhungerter Länder, die ihr mit eiserner Hand von den Futtertrögen der Weltwirtschaft fernhaltet, um sie dann in ihrer Schwäche besser in die Knie zwingen zu können; der Frieden der Steinzeit, in der die Menschen mühselig die Steine wieder zusammensetzen müssen, die ihr zerschlagen und in alle Winde zerstreut habt, und wo die Weiber nicht einmal Zeit haben, ihre Männer und Söhne zu beklagen, weil jede Hand gebraucht wird, damit das Elend nicht ewig währt, der Frieden deiner Atombomben, die noch den Urenkeln derer, die heute Säuglinge sind, in großer Zahl Kranke, Krüppel und Mißgebildete bescheren werden. Sieh Dir die Denkmale deiner Friedensmissionen einmal genau an! Tausend Jahre haben an den alten greconischen Tempeln nicht halb so viel zerstört wie es eine elysische Bombe in wenigen Sekunden könnte."
"Gut gebrüllt, Löwe Sallah! Verfolgst du in deinem Lande nicht selbst die Kolomorden im Norden und die Sijüden im Süden? Warst du es doch, der sich das Land der Kuwaden einzuverleiben versuchte, um uns den Ölhahn zuzudrehen. Du bist es schließlich, der die Palatiner mit seinen Geldern aus dem Ölgeschäft aufrüstet, daß sie gegen die friedlich auf heiliger Erde siedelnden Jahweden einen Anschlag nach dem anderen verüben, auf daß diese Weltgegend nie zu der von uns ersehnten Ruhe komme. Aber wir werden dir das Handwerk schon legen! Du sollst nicht länger mit dem Säbel rasseln, weder die Palatiner noch den Mörder Ala-Khan aufrüsten und unterstützen oder die Kolomorden und Sijüden bekämpfen können, denn das widerstrebt uns; und was uns widerstrebt, das muß von der Erde getilgt werden, denn wir haben eine große Vision: Die ganze Welt ein Elysium! Du tätest also gut daran, aufzugeben und zu verschwinden, oder besser noch, dich in unsere Hand zu begeben; oder müssen wir dich Muselman wirklich mit Nachdruck Moses lehren?"

IV.

Hussein Sallah, der Herrscher von al-Ahrak, überlegt:
Die Elysier sind mächtig, wohl die Mächtigsten der Erde, und Mut allein reicht nicht, sie daran zu hindern, al-Ahrak zu vernichten. Ja, er hat ein paar Kolomorden im Norden und ein paar Sijüden im Süden gegen sich, das ist wahr, aber die Masse des Volkes steht fest hinter ihm.
Schurkenstaat hat Gorgolos Buccholios, der Oberste der Elysier zu ihnen gesagt - Schurkenstaat! Er greift sich an den Gürtel, und seine Rechte umschließt einen Augenblick lang den Griff seines Messers. Dann lächelt er: Wohin sollte er stechen, etwa in den Himmel?

Hussein Sallah fängt an zu lachen. Er biegt und windet sich, lacht und lacht und lacht, ein Lachen traurig und bitter, wütend und fröhlich zugleich. Dann wirft er noch einmal den Kopf weit zurück, so heftig, daß ihm dabei fast der Turban vom Kopf fällt, und schreit den düsteren Himmel an: "Mach nur, Gorgolos Buccholios, mach nur, du Narr! Weiß doch ein jeder auf Erden, daß ihr im Elysium immer noch glaubt, ihr wäret unbesiegbar, ja unverwundbar. Und weil ihr eben das glaubt, meint ihr, ihr könntet eine brennende Fackel in eine Scheune werfen, ohne daß da auch nur ein Hälmchen Stroh anbrennt. Das mag einmal so gewesen sein, aber diesmal ist es anders. Da sind es nicht nur die Vichemanesen, oder Gooks, gegen die ihr kämpfen müßt, sondern die gesamte Menscheit. Denn den Brand, den ihr da anzünden wollt, könnt ihr nicht mehr löschen, beherrscht ihr doch nur mit großer Mühe die Brände in euren großen Wäldern. Die Länder der Palatiner und der Jahweden werden brennen und die vieler anderer Völker auch, denn es wird die letzte Gelegenheit für sie sein, ihre Rechnungen mit euch zu begleichen. Und wir werden alle umkommen - alle!"
"Und du? Fürchtest du dich nicht Hussein Sallah?"
"Nein. Ihr wollt mich doch sowieso töten, was hätte ich da zu fürchten?"
"Und dein Volk, Hussein, dein Volk? Bist du so herrschsüchtig, daß du nicht einmal mit dem Erbarmen hast, du Schurke?"
"So höre, Gorgolos Buccholios, Oberster der Elysier! Mein Volk wird kämpfen wie ein Mann; es wird sterben wie ein Mann, bis auf ein paar Feiglinge und Verräter, die es immer und überall gibt, wird mein Volk für mich einstehen!"
"So, meinst du!"
"Ja. Und wenn nicht, dann ist es auch egal. Denn selbst wenn ihr siegt, müßt ihr für euch ein paar Fragen beantworten."
"Welche, Hussein Sallah?"
"Wovon wollt ihr essen, wenn alles Geschirr zerschlagen ist?
Was wollt ihr essen, wenn alle Speisen verbrannt sind?
Was wollt ihr trinken, wenn alle Gefäße leer und alle Brunnen vergiftet sind?
Wer soll euch begraben, wenn ihr dann elend verschmachtet seid?
Und: Über wen wollt ihr dann noch herrschen?"

V.

Als Hussein Sallah die letzten Worte gesprochen hat, geht ein heftiger Regen auf die Wüste zwischen den zwei Flüssen Ephar und Tigirrh nieder. Sallah ist ganz durchnäßt, denn er hat gar nicht gemerkt, daß es zu regnen begonnen hat. Ja, denkt er, vielleicht sind meine Bediensteten vorhin doch nur vor dem Regen und nicht vor den Elysiern geflohen. Und dieser Gedanke erfüllt ihn mit Zuversicht. Und mit den Worten: "Sollen sie nur kommen, die Elysier, wir werden sie schon den Koran lehren!" zieht er sich in seinen Palast zurück.

Falk Webel

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© 2002 by Falk Webel
Erstellt am So, 03.11.02, 08:01:19 Uhr.
URL: http://anderssehen.at/autoren/ahrak.shtml

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