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Wie kommt ein Buch in den PC?

Man könnte es in einem Satz sagen: Mit einem Scanner werden die einzelnen Seiten eines Buches in Bilder verwandelt, zum PC übertragen und dort wieder in Text zurückverwandelt. So einfach wie das auf den ersten Blick scheint, ist es aber leider doch nicht.

Warum keine Kamera?

Gewöhnlich werden Bilder mit einer Kamera aufgenommen; so wurden und werden noch heute bei der Archivierung von Schriftstücken auf Mikrofilm Kameras eingesetzt. Kameras können zwar in Sekundenschnelle gute Bilder liefern, sie müssen aber auf das aufzunehmende Objekt ausgerichtet und eingestellt werden. Die Technik ist teuer, sperrig und für Blinde nicht bedienbar. (Bild eines Scanners mit geschlossenem Deckel) Ein Scanner dagegen - der Name kommt von dem englischen Wort scan = abtasten, abgreifen, überfliegen (im Sinne von flüchtig lesen) - tastet eine Vorlage zeilenweise durch eine Glasscheibe hindurch ab. Handscanner müssen mit der Hand über die Vorlage gezogen werden. Das macht sie von vornherein für Blinde ungeeignet, und auch Sehende benutzen sie nur für kleine Vorlagen wie zum Beispiel Strichcodes auf Waren in Geschäften. Zum Lesen von Büchern werden Flachbettscanner verwendet. Diese haben ein flaches, quaderförmiges Gehäuse. Hebt man den Deckel, so findet man darunter eine Glasscheibe im Format A 4 oder etwas größer. Auf diese wird die Vorlage gelegt, mit der zu lesenden Seite nach unten. Die Einfassung der Glasscheibe hilft dabei, die Vorlage auszurichten. Das ist wichtig, denn eine gerade ausgerichtete Vorlage kann später leichter zu Text verarbeitet werden. (Bild: Scannen mit offenem Deckel) Ob die Vorlage quer liegt oder auf dem Kopf steht, das spielt bei der heutigen Software keine Rolle mehr; und das kann einem Blinden nur recht sein. Wichtig ist nur, daß sich der zu lesende Text vollständig auf der Glasplatte befindet. Dabei können dicke Bücher durchaus widerspenstig sein, wenn sie vollständig aufgeklappt auf den Scanner gelegt werden müssen. Da ist es gut, wenn der Scanner eine Buchkante hat, so daß das Buch mit einer Seite vollständig auf die Glasplatte gelegt werden kann, während die Seite, die gerade nicht gescannt werden soll, seitlich aus dem Gerät herausragt.
Beim Scannen sollte der Deckel möglichst geschlossen sein. Er verschließt nicht nur das Gerät, er drückt auch die Vorlage leicht gegen die Glasscheibe und sichert damit ein scharfes Bild. Außerdem verhindert er, daß sich die Vorlage während des Scannens bewegen kann, denn dann entstünden recht eigenartige Bilder. Dicke und widerspenstige Bücher müssen allerdings bei offenem Deckel mit der Hand auf die Glasplatte gedrückt werden, wenn sie sich anders nicht dazu bequemen wollen, flach liegenzubleiben.

Im Unterschied zur Kamera muß beim Scannen nicht scharfgestellt werden, denn die Vorlage ist flach und befindet sich immer genau auf der Oberseite der Glasplatte. Und auch die zum Scannen erforderliche Beleuchtung - meist in Form einer Leuchtstofflampe - führt der Scanner stets mit sich. Bei der Kamera müßte man die Lampen erst mühselig nach der Vorlage ausrichten.

Wie arbeitet ein Scanner?

(Bild: Scannen mit offenem Deckel -
Deutlich ist die Leuchtstofflampe
auf dem Träger der CCD-Zeile
zu sehen.)

Der eigentliche Scanner ist eine CCD-Zeile (CCD bedeutet charge coupled device = ladungsgekoppeltes Bauelement und bezeichnet den Aufbau der lichtempfindlichen Halbleiterelemente der Zeile), die auf einer Schiene unter der Glasplatte über die Vorlage bewegt wird. Auf dem Träger der CCD- Zeile befindet sich auch die Beleuchtungseinrichtung, welche den zu scannenden Bereich der Vorlage in voller Länge gleichmäßig ausleuchtet. Dabei handelt es sich um eine sehr schmale Zeile des Bildes. Die Bauweise der CCD-Zeile erlaubt auch, daß die Bildpunkte auf der Zeile sehr eng beieinander liegen können. Das Maß für den Punktabstand heißt dpi (dots per inch = Punkte pro Zoll; 1 Zoll (inch, Abkürzung ") entspricht 2,54 cm). Üblich sind Werte zwischen 75 und 1600 dpi. Üblicherweise werden Texte und Bilder mit 300 bis 600 dpi gescannt. Nach dem Scannen werden die gelesenen Daten sofort zur Verarbeitung weitergegeben, die CCD-Zeile wird zum Lesen der nächsten Zeile weitertransportiert, und diese wird gelesen. Das wiederholt sich, bis die gesamte Vorlage abgetastet ist. Dann wird die CCD-Zeile in ihre Ausgangsstellung zurückgefahren und die nächste Vorlage kann gescannt werden.

CCD-Zeilen findet man übrigens nicht nur in Scannern, sondern auch in Faxgeräten und Kopierern, denn der eigentliche Scanvorgang ist der gleiche. Was diese Geräte vom Scanner unterscheidet ist die Weiterverarbeitung der Daten. Sie werden meist zwischengespeichert, um sie zeitversetzt senden oder mehrere Kopien erstellen zu können. Die meisten Kopierer, aber auch manche Faxgeräte erlauben es, gescannte Bilder zu verkleinern oder zu vergrößern. Faxgeräte senden, Kopierer drucken.

Und was macht der Computer?

Zunächst setzt er die Datenzeilen, die vom Scanner kommen wieder zu einem Bild zusammen. Dieses kann dann in ein gängiges Grafikformat umgewandelt und ausgedruckt oder einfach nur gespeichert werden. Selbstverständlich bietet ein Computer weit mehr Bearbeitungsmöglichkeiten als ein Kopierer. Für Blinde weit interessanter ist jedoch die Möglichkeit, eine Grafik - sofern sie Text beinhaltet - in einen Text umzuwandeln, denn Text kann mit Hilfe einer Sprachausgabe oder Braillezeile gelesen werden, Grafiken dagegen nicht. Eine Software, die solch eine Umwandlung durchführen kann, heißt OCR-Software (optical character recognition software = optische Zeichenerkennungs-Software). Sie muß zunächst feststellen, ob die Grafik überhaupt Zeichen enthält, und wenn ja, ob diese aufrecht stehen, quer liegen oder auf dem Kopf stehen. Ist die Lage des Dokuments erkannt, so kann die Software daran gehen, das gesamte Bild systematisch nach Zeichen zu durchsuchen und sie in einem Text zu speichern. Dieser Prozeß ist sehr rechenintensiv und nahm noch in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts viel Zeit in Anspruch. Die Umwandlung eines Buches konnte Stunden dauern. Deshalb war es üblich, ein Buch erst mal vollständig zu scannen und erst dann die Grafiken in einen Text umzuwandeln. Während dann der PC mit sich beschäftigt war, konnte man die Zeit anderweitig nutzen. Dank leistungsfähigerer Prozessoren und Software sind mittlerweile aus Stunden Minuten und aus Minuten Sekunden geworden, so daß man inzwischen ein Buch auch direkt lesen kann, wenn man will.

Was kann man mit dem PC lesen?

Wie schon gesagt, die OCR-Software durchsucht die gescannten Bilder nach Zeichen. Sie vergleicht die Bilddaten mit gespeicherten Mustern und läßt dabei auch Abweichungen zu. Ein großes T zum Beispiel ist gewöhnlich ein senkrechter Strich mit einem waagerechten quer darüber. Bei einer kursiven Schrift steht der senkrechte Strich aber etwas schräg, beinahe so, als hätte jemand von rechts dagegen getreten. Die Software wird das T trotzdem meist richtig erkennen, auch dann, wenn Serifen, das sind kleine Häkchen an den Enden der Striche, dran sein sollten.
Schwieriger wird es dagegen, wenn sich Buchstaben zum Verwechseln ähnlich sehen, wie zum Beispiel Null und das große O. Da wäre es schon mal denkbar, daß der MD-Recorder 180,OO Euro kostet. Das "OO" mag wohl der Schreckensruf aus dem Portemonaie sein. Schlechter wird es schon, wenn ich einen Brief von meinem Nullpa bekomme, der ja eigentlich mein Opa ist.
Um derartige Fehler gering zu halten, verfügt die Software meist über ein Wörterbuch in der Sprache, für die sie vorgesehen ist. Zu unwahrscheinlich erscheinende Worte werden damit manchmal in die richtigen Worte verwandelt, ohne daß der Anwender viel davon merkt. Auf diese Weise bringt es die OCR-Software heutzutage auf mehr als 95 % richtigen Text. Will man den Text als Datei weiterverwenden, dann sind allerdings Korrekturen angesagt. Das folgende Bild ist die farbige Abbildung eines aufgeschlagenen Buches:

(Farbbild zweier Buchseiten auf dem Scanner)

Für die Texterkennung werden eigentlich nur zwei Farben benötigt, nämlich eine für den Text (in der Regel Schwarz) und für den Hintergrund (in der Regel die Papierfarbe, meist Weiß). Normalerweise wird deshalb schwarzweiß gescannt. Das ergibt wesentlich weniger Daten und die Software kann sich sogar eine Korrektur der Schräglage der Vorlage leisten. Das sieht dann so aus:

(Schwarzweißbild zweier Buchseiten auf dem Scanner)

Ist der Text dann verarbeitet, so kann man etwa folgendes lesen (Text von der rechten Buchseite):

VOM FONFTEN TAG, UND WIE SICH SIR LAMORAK HIELT So begann der fünfte Tag. in der Morgenfrühe forderte Sir Palamides in der Nähe der Burg, in der König Artus weilte, zum Kampf heraus. Da trat ihm ein ruhmreicher Herzog entgegen, und Sir Palamides warf ihn vom Pferd. Dieser Herzog war ein Onkel des Königs Artus. Dann trat der Sohn von Sir Elis gegen Palamides an und wurde ebenfalls bezwungen. Da geriet Sir Iwein in Zorn und ritt gegen Sit Palamides, doch Palamides traf ihn mit solcher Wucht, daß er mitsamt dem Pferd zu Boden stürzte. Und so warf er drei Brüder Sir Gaweins, nämlich Mordred, Gaheris und Agrawein, zu Boden. 0 Jesus, rief Artus, es ist eine große Demütigung, daß ein Sarazene Männer meiner Sippe niederwirft. Da übermannte ihn der Zorn, und er wollte sich zum Kampf rüsten. Sir Lamorak bemerkte, daß Artus und seine Sippe in Bedrängnis waren. Sogleich wappnete er sich und fragte Palamides, ob er noch weiterkämpfen wolle. Warum nicht, antwortete Palamides. Da stießen sie zusammen und zersplitterten ihre Lanzen, daß die Burg von dem Lärm widerhallte. Nun nahmen sie jeder eine stärkere Lanze zur Hand und galoppierten wild gegeneinander, und Sir Palamides' Lanze brach, aber die Sir Lamoraks hielt. Dabei verlor 101

Probleme beim Scannen können auftreten, wenn die Vorlage einen schwachen Kontrast aufweist oder sehr vielfarbig ist. So lassen sich zum Beispiel Versandhauskataloge kaum scannen. Auch sehr dünnes, beidseitig bedrucktes Papier macht unter Umständen Schwierigkeiten. Dann empfiehlt es sich, hinter die zu scannende Seite ein dunkles, möglichst schwarzes Blatt zu legen. Das hat den selben Effekt, als wäre die Rückseite der Vorlage gleichmäßig schwarz. Damit ist die störende Schrift getilgt. Hinter dünnes, einseitig bedrucktes Papier legt man dagegen ein weißes Blatt, um die eventuell störende Papierstruktur auszublenden.

Handschrift kann von der OCR-Software nicht gelesen werden. Das sollte man ihr nicht als Nachteil anrechnen. Auch wir Menschen können nicht jede Handschrift lesen, und ich habe schon zu meiner Schulzeit gelegentlich Lehrer über die "Schmiere" "Klaue" oder gar "Sauklaue" ihrer Schüler schimpfen hören.

Beim Scannen spielen aber auch Probleme einer ganz anderen Art eine Rolle, die kaum von einer Software behoben werden können. Sie betreffen die Struktur des zu lesenden Dokuments. So ist es der Software kaum möglich zu entscheiden, ob die Zellen einer Tabelle zeilenweise oder spaltenweise gelesen werden sollen. Auch Textteile, die zum Zwecke der Hervorhebung oder zur Dekoration außerhalb des Textes liegen oder Texte innerhalb einer Grafik können für Verwirrung sorgen. Wenn Sie einen Screenreader benutzen müssen, um mit dem PC arbeiten zu können, haben Sie sicher mit solchen Problemen schon Bekanntschaft gemacht. Zwar scannen Screenreader keine Bücher, sondern den Inhalt des Bildschirmspeichers, aber der ist für sie auch so was wie ein Buch - mit sieben Siegeln.

Falk Webel

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© 2003 by Falk Webel, Graz
Erstellt am Do, 02.10.03, 17:30:19 Uhr.
URL: http://anderssehen.at/lesen/scanner.shtml