"Eine Ausstellung, bei der man nichts sieht!" ....
"Blinde Date!" ...
Das sind Begriffe, die im Werbefolder für die
mindestens bis zum 28. April 2002 im Schottenstift, Wien 1, Freyung 6,
laufende Installation. Was bedeuten diese reißerischen Aufmacher? Ist
das eine Art Geisterbahn mit Gruseleffekt? Was erlebt der Mensch, der
sich diesem Event stellt?
Das in Frankfurt am Main entwickelte Grundkonzept, das von den jeweiligen Veranstaltern natürlich auch dementsprechend erweitert werden kann, möchte in szenisch nachgestellten Alltagssituationen in völlig abgedunkelten Räumen den Begriff "Blindheit" vermitteln. Es ist unmöglich, in Worten auszudrücken, wie es ist, wenn man nicht sehen kann. Eine Besucherin stellte einen tollen Vergleich an: "Genauso, wie man einem Mann nicht erklären kann, wie wunderschön es ist, ein Kind zu erwarten, ist es unmöglich, das Gefühl auszudrücken, wenn man nichts sieht!"
Wenngleich die meisten Informationen visuell empfangen werden, sind die restlichen Sinne durch den Wegfall des Lichtes sehr rasch in der Lage, das Defizit teilweise zu kompensieren. Da eine Kontaktaufnahme via Blick ausgeschlossen ist, entsteht ein Dialog mit dem blinden Begleiter bzw. unter den maximal acht Besucher/innen, die einander nicht unbedingt kennen. Die Menschen bilden, auch wenn sie einander fremd sind, ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das allerdings sofort wieder entfleucht, wenn das Licht die Augen wieder arbeiten lässt.
Mich hat diese Idee, mit Hilfe dieser Ausstellung eine Brücke zwischen mir als blindem Menschen und meiner Umwelt zu bauen, schon bei der ersten Vorbesprechung im Jahr 1993 überzeugt. So war es im Schottenstift für mich bereits das siebente Mal, dass ich mich als Guide meldete.
Bevor ich mir zutraute, für acht Personen die Verantwortung zu übernehmen, war ich mehrere Male im Gelände, um mich über Notausgänge, eventuell zu treffende Maßnahmen im Ernstfall und natürlich auch den Parkur zu informieren.
Ich möchte Sie, die Sie diesen Text mit Augen oder Fingern lesen bzw. per Sprachausgabe hören, einladen, mich bei einem Rundgang zu begleiten.
Stellen Sie sich bitte vor, es wäre Sonntagnachmittag. Im Gegensatz zu einigen anderen Veranstaltungen, bei welchen ich mitwirkte, lerne ich meine Gruppe nicht "im Licht" kennen. Die Gäste, die zuvor einen Stock und eine kurze Erklärung der Installation erhalten, sind also auf ihre Phantasie angewiesen, wenn sie die sie begrüssende Stimme hören. Wie mag iche wohl aussehen? Man könnte das beinahe als Chancengleichheit bezeichnen, denn ich kann mir von meinem Visavis auch keinen schnellen Eindruck verschaffen.
Ich stehe in einem relativ kleinen Gang und lausche der immer näher rückenden Stimme der Kollegin, die die Einführung machte. Bevor das grosse Abenteuer beginnt, stelle ich mich vor, versuche, meinen Gästen einige Worte zu entlocken, damit ich ungefähr weiss, mit wem ich es zu tun habe. Dann öffne ich die erste Schiebetüre und bitte die Besucher/innen, in die erste Zone einzutreten.
Ich stehe wie der sprichwörtliche "Fels in der Brandung" mitten im Türrahmen. Das mache ich nicht deshalb, damit mich jede/r Besucher/in berühren muss, sondern damit Niemand in Versuchung gerät, sich die Finger einzuklemmen.
Der Sehsinn hat für eine Stunde Pause, doch durch Tasten, Hören, Riechen und Fühlen, auch mit der Haut, können viele neue Informationen gewonnen werden.
Die Besucher/innen gehen relativ vorsichtig an mir vorbei, langsam einen Fuß vor den anderen setzend. Ich horche in den leeren Gang hinein, um mich zu überzeugen, Niemanden vergessen zu haben. Dann schließe ich die Schiebetüre hinter mir.
Die acht Personen, unter ihnen eine Mutter mit ihrer zehnjährigen Tochter, stehen nahe beeinander, wahrscheinlich aus Angst, verloren zu gehen. Nach dem Passieren der Schiebetüre geht es über eine kleine Brücke in die erste von zwei Naturzonen. Ich nutze die Rudelbildung, um an der Gruppe vorbeizugehen, sozusagen als Rudelführer zu dienen. Ich gehe zu Beginn verkehrt, damit ich besser zu hören bin.
Ich bitte meine Gäste vor dem Eingang in die Installation, die Gegend zu entdecken, zu erobern, weise darauf hin, dass es nichts Ekelerregendes, Unangenehmes anzufassen gibt. Ich mag es nicht, einem Museumführer gleich, jede Pflanze und jedes Hindernis beim Namen zu nennen, zu erklären. Etwas trotz des Gefühles der Unsicherheit selbst zu entdecken und zu erkennen, hebt das Selbstwertgefühl und verkleinert die kaum zugegebene Angst vor dem Ungewissen. Natürlich greife ich helfend ein, wenn sich Jemand verirrt.
Ich merke bald, dass ich benötigt werde, sich irgendwer von der Gruppe absondert, ganz vorsichtig weitergeht. Ich finde sie auch bald. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich den Namen des zehnjährigen Mädchens bereits wieder vergessen habe, das etwas verloren in der Gegend herumsteht und nicht weiss, ob es zu weinen beginnen oder nach ihrer Mutter rufen soll. Ich rede sie an, indem ich sie frage, wie sie heisst und ob sie in Begleitung hier wäre. Ihre Mutter ist nicht weit weg von ihr, hat aber mit sich selbst genug zu tun. Ich frage das Girl, ob ich sie an der Hand nehmen soll, was sie sofort freudig bejaht. Man merkt direkt, dass ihr ein Stein vom Herzen fällt.
Mit dem Mädchen an der Hand, kann ich natürlich nicht mehr im Rückwärtsgang unterwegs sein. Nun bin ich besonders gefordert. Am liebsten würde ich mit dem Mädchen allein gehen und sie auch alles angreifen und entdecken lassen. Das geht natürlich nicht, denn der Rest meiner Gäste darf darunter nicht leiden. Ich bin aber sicher, dass sie ihrer Mutter anschließend von vielen Dingen erzählt hat, die diese nicht entdeckte.
Die verschiedenen Abteilungen sind durch Schiebetüren voneinander getrennt. So spielen wir das Spiel, dass die Leute an mir vorbeigehen müssen, was auch den Vorteil hat, dass mir auffiele, wenn wer fehlte. Die meiste Zeit gehen wir im Kreis. In der zweiten Naturzone, wo es auch einen Felsen mit Wasserfall gibt, hört man die folgende Gruppe, die nur durch ein hohes Geländer von uns getrennt ist. Dadurch besteht nie die Gefahr der Vermischung. Die Gäste lernen das Gefühl kennen, durch andere Stimmen irritiert zu werden.
Nach einer weiteren Schiebetür geht es in einen langen Gang, dessen mit Samt ausgekleidete Wände eine gewisse Heimeligkeit bieten. Das tut auch dem Mädchen gut, denn danach erfordert die Stadt jede Menge an KOnzentration. Die Gehhsteige sind irr hoch, der Lärmpegel ist nicht so gross wie in Wiesen (wo die Ausstellung schon ein paar Mal stattfand).
Bevor wir die Stadtzone betreten, weise ich meine Gruppe auf die Hindernisse hin. Ich weise sie darauf hin, dass ich keine Stufen ansage, denn dies könnte zu Verwirrungen führen. Mein Hinweis hätte für die mir am nächsten stehende Person Gültigkeit, nicht aber für die dritte oder achte. Das an meiner Hand befindliche Mädchen wird allerdings genau instruiert. Während ich die ERwachsenen auffordere, die im gesamten Bereich herumstehenden Hindernisse zu lokalisieren, zeige ich der Kleinen den Postkasten, die Mülltonne, das Schaufenster.
Wir überqueren eine Straße, kommen in ein Gemüsegeschäft, wo genügend Ware zum Betasten und Beschnuppern herumliegt. Es kommt da schon vor, dass sich Jemand einen Apfel greift und herzhaft hineinbeisst. Ich ersuche die Gäste, das Obst fertigzuessen und auf keinen Fall das angebissene Stück irgendwo liegen zu lassen.
Nach dem Verlassen des Shopps muss wieder eine Straße überquert werden. Dies erschwert allerdings ein hoher Poller und ein geparktes Vorderteil eines Autos.
An mehreren Fahrrädern vorbei geht es zur nächsten Schiebetüre. Wenn diese geschlossen ist, hört man schon das Rauschen des Wassers, riecht auch die Luft, wie sie am Ufer eines Flusses oder am Strand typisch ist. einem langen Gang folgend, geht es zum Boot, das durch ein Seil abgesichert ist, welches ich erst öffnen und nach dem Einsteigen wieder schliessen muss.
Jeder Begleiter macht das zwar nicht, aber ich biete beim Einsteigen in das Boot meine Hand als Stütze, vor allem dann, wenn ich merke, dass die Leute wie Pflöcke dastehen und nicht weitergehen wollen. "Mein Girl" übergebe ich in die Obhut ihrer Mutter, denn ich muss die Geräusche des Motorbootes und den Fahrtwind ebenso aktivieren wie Schaukelbewegungen durchführen.
Beim Verlassen des Bootes ist das gleiche Prozedere: Seil oeffnen, Klappe nach unten geben, die Menschen aussteigen lassen, Klappe nach oben, seil verriegeln. Das Mädchen hat die Sicherheit und Unbefangenheit zurückgewonnen, braucht meine Hand nicht mehr.
Bis zur Bar sind es nur mehr wenige Schritte. Zunächst müssen die Gäste durch eine Falttüre, wie sie bei vielen Wirtshaäusern zu finden ist, durchgehen. Das erzielt die Wirkung, zu erkennen, wer von den Herrschaften nur auf sich schaut oder dem Hintermann anzeigt, wo die Türe kommt und diese so lange aufhält, bis sie entgegengenommen wird.
Der Barbereich ist riesig. Es gibt einen Clubraum, wo die Barkeeper die Gäste platzieren, die bekannte "Stehbar", ein Restaurant, das aus in Form eines Sechspunktezeichens aufgestellten Tischreihen besteht und wo es am Freitag ein Dinner im Dunkeln gibt.
Leider ist es an meinen beiden bisherigen Arbeitstagen immer so laut, das Musizieren, Singen, Servieren der Getränke machen einen Dialog unmöglich. Ich habe nicht einmal die Möglichkeit, meine Gruppe hinauszubegleiten, weil schon die Nächsten auf mich warten, sammle die Stöcke ab und verabschiede mich.
Die Reaktionen der Besucher/innen sind meist positiv. Das Sammeln von Erfahrungen gilt allerdings nicht nur für die sehenden Besucher/innen. Mich berührt das Arbeiten mit Kindern wohl am meisten, vielleicht auch deshalb, weil ich keine eigenen habe. Ebenso stolz auf meine Mitarbeit bin ich, wenn mich ein/e Passant/in anspricht und erzählt, im "Dialog im Dunklen"® gewesen zu sein und tolle Erfahrungen gemacht zu haben.
Wenn sich Jemand durch diesen Bericht angeregt fühlen sollte, diese Installation kennenzulernen, empfiehlt es sich UNBEDINGT , sich per Telefon oder Mail anzumelden: (01) 595 62 00, E-Mail: dialog-im-dunkeln@promotersgroup.com
Um mit Karl Farkas zu sprechen, und das im doppelten Sinne des Wortes: "Schau'n Sie sich das an!"
Walter Lindner
Begleiter beim "Dialog im Dunkeln"
© 2002 by Walter Lindner
Erstellt am Fr, 01.03.02, 08:01:19 Uhr.
URL: http://anderssehen.at/alltag/berichte/dialog.shtml