Wie üblich treffen wir uns (eine kleine Gruppe sehbehinderter und blinder Menschen) Freitag Abend zum gemütlichen Abendessen. Im Laufe der Jahre haben sich einige Stammlokale ergeben, in denen wir uns auskennen (wissen, wo die Toiletten sind, die Speisekarte ganz gut kennen ...), aber wir probieren auch immer wieder gern Neues aus.
Die erste Hürde ist oft schon die Speisekarte. Es gibt nur wenige Lokale, die über Speisekarten in Blindenschrift oder Großdruck verfügen. Häufig sind Karten vielfarbig, mit Grafik versehen oder in einer Schrift, die zwar für normalsehende Menschen gut aussehen mag, für Sehbehinderte aber nur schwer lesbar ist.
So plagen sich die Sehbehinderten in unserer Gruppe mit Lupe ab, um uns allen den Inhalt der Speisekarte nahezubringen.
Und dann stellt sich die Frage: was esse ich bloß? Das hängt nicht nur von dem ab, worauf ich gerade Lust habe. Es gibt Speisen, die ich im Gasthaus, wo immer damit zu rechnen ist, dass uns Gäste beobachten, nicht essen werde, weil das Chaos am Teller vorprogrammiert ist. Dazu gehört z.B. Piccata (Spaghetti auf denen Fleisch liegt). Fische, die nicht ausgenommen sind, fallen auch weg, da ich mich außerstande sehe, den Fisch von nicht Eßbarem zu befreien. Ähnlich problematisch empfinde ich es, wenn sich in Fleisch noch Knochen befinden.
Aber auch wenn da einige Speisen ausfallen, bleibt immer noch viel übrig, und die Wahl fällt schwer genug. Wenn ich müde, und daher eher unkonzentriert bin, entscheide ich mich für ein Gericht, das leicht zu essen ist. Dann brauche ich mich nicht so sehr auf das Geschehen am Teller konzentrieren. Es eignen sich Gerichte, die ich nicht schneiden muss (Reisfleisch, Schinkenfleckerl ...).
Wenn ich ein Lokal kenne, weiß ich über die Art des Anrichtens Bescheid und kann um Erleichterungen bitten. Salate zum Beispiel können ein Problem sein. Mitunter werden sie auf flachen Tellern serviert. Auf großen Salatblättern (wo kriegen die Lokale bloß immer diese Riesenblätter her???) türmen sich die verschiedensten Salate. Egal wie man es auch anstellt, der Salat gerät immer ins Rutschen und ein Teil landet garantiert am Tischtuch oder auf einem, wenn man nicht andauernd den Tellerrand beobachtet. Diese großen Salatblätter mögen ja gut aussehen, stellen aber wirklich eine Herausforderung dar. Genuß ist das manchmal keiner mehr.
Dann sind Teller oft total überladen. Unter Fleisch liegen zum Beispiel Pommes. Man hat überhaupt keinen Platz zum Schneiden. Da wäre ein zweiter Teller, auf dem die Beilage serviert wird, wesentlich angenehmer.
Damit man weiß, was sich wo am Teller befindet, hat sich die Einteilung nach Uhrzeit eingebürgert. Wenn das Essen kommt, erzählt mir meist einer in der Runde, was sich wo befindet. (Auf 10 liegen die Kartoffeln, von 9 bis 3 ist das Fleisch ...).
Auch ist es sehr hilfreich, dass Kellner nicht einfach wortlos Dinge auf den Tisch stellen. Wenn der Kellner einen informiert, wo genau er das Glas ... hingestellt hat, braucht man nicht lange zu suchen. Getränke, von deren Dasein man nichts weiß, sind allzu leicht umgeschüttet. Manchmal registriert man in all dem Wirbel in einem Lokal ja nicht einmal, dass der Kellner überhaupt da war. Und es fördert auch den Umsatz, wenn immer wieder nachgefragt wird, ob wir noch etwas bestellen möchten.
Auch die Nachspeisen haben es in sich. Gerade die sind meist besonders schön für's Auge anzusehen und stellen für blinde Menschen eine Herausforderung dar. Da ist es hilfreich, zwei Bestecke (Gabel und Löffel) zum Gegenhalten und zur besseren Orientierung am Teller zu haben.
Was Sehbehinderten oft Schwierigkeiten macht (für Blinde ist das gar nicht bewältigbar) sind Buffets, an denen man sich selber nimmt, was man möchte. Stark sehbehinderte Menschen können häufig nicht erkennen, was sich in Schüsseln oder auf den vielen Platten befindet.
© 2001 by Petra Raissakis, Graz
Erstellt am Mo, 30.07.01, 08:01:19 Uhr.
URL: http://anderssehen.at/alltag/berichte/essen.shtml