Als ich am 29.10.1978 in Berlin geboren wurde, wog ich 1.000 g und war 37 cm lang. Überhöhter Sauerstoff im Brutkasten ist die Ursache für meine Sehbehinderung. Ich habe beidseitige retrolentale Fibroplasie. Dies heißt, daß die Netzhaut von vielen Fäden überwuchert wird, die auch nicht entfernt werden können. Außerdem habe ich sowohl grauen als auch Grünen Star und sehe ca. 0,3%, die mir ermöglichen, Farben und Umrisse zu erkennen. Mit vier Jahren kam ich auf eine Sonderschule für Blinde und Mehrfachbehinderte, doch schon bald merkte meine Lehrerin, daß ich dort nicht genug geistig gefordert wurde, und auf ihr Anraten kam ich mit 13 Sehenden Kindern in die Vorklasse einer Grundschule, die mit mir ein Integrationsprojekt begann. Ich muß sagen, daß es niemanden störte, daß ich nicht gut sehen konnte. Mein Sehrest ließ zu, daß ich genau so malte, spielte und umhertobte wie all die anderen. Problematischer wurde es in der 1. Klasse, als ich Punktschrift lernte, was für die anderen eine Sonderbehandlung darstellte, aber über Sprüche wie "Blinde Kuh" oder "Blindes Huhn" ging es auch dort nie hinaus.
Massivste Probleme begannen erst in der 6. Klasse, denn meine Klassenkameraden konnten nicht begreifen, daß ich ein anderes, mehr freundschaftliches Verhältnis, zu meinen Eltern hatte, daß wir gemeinsam Kleidung kauften, man beschwerte sich, daß ich nicht von mir aus grüßte, wenn Klassenkameraden in der Nähe waren. Viele Dinge waren an den Haaren herbeigezogen.
Als ich die Gymnasialempfehlung bekam und es darum ging, wer mit in meine Klasse kommen sollte (Das Gymnasium befindet sich im selben Gebäude), kamen Äußerungen wie: "Jetzt haben wir uns 6 Jahre drum gekümmert, jetzt sind mal andere drann." Dies war sehr hart, aber es war für mich nie ein Grund nicht mehr in die Schule gehen zu wollen; Schwäche wollte ich nicht zeigen.
Ich ging immer gern in die Schule, obwohl es auf dem Gymnasium noch extremer wurde. Die Meisten hatten keine Erfahrungen mit Blinden und große Probleme damit. Sie nutzten meine Blindheit aus: Versteckten mir Dinge, schüttetten mir Wasser auf den Stuhl, beschmierten meine Kleidung, waren eifersüchtig auf gute Zensuren, schnitten und brannten mir Haare ab, weil ich Angst vor Feuer hatte. Auch das gute Verhältnis zu meinen Eltern führte zu Neid. Bis zur 8. Klasse war es die Hölle, doch auch hier bin ich nicht geflohen. Im Gegenteil, ich war selbstbewußt genug mir meine Ausbildung nicht kaputtmachen zu lassen. Großes Vertrauen hatte ich zu meinem Mathelehrer, der wie ein Vater für mich war und viel Halt gegeben hat, um nicht zu petzen habe ich ihm Briefe mit den schlimmsten Vorkommnissen geschrieben. Man verlangte von mir auf die Anderen weiter zuzugehen, doch ich konnte kein Vertrauen mehr zu den anderen entwickeln. Auf Klassenfahrten fühlte ich mich regelrecht ausgeliefert. Dort war mein Mathelehrer mein einziger Halt. Man klaute mir Gegenstände und war nur bereit, sie gegen Geld herauszugeben. Am schlimmsten war das Essen und die Feten. Ich verweigerte teilweise die Mahlzeiten, wenn ich wußte, was es gab, denn als mir einmal etwas von der Gabel gefallen war, sagte ein Mädchen: "Du ißt ja wie ein Schwein." Die Feten waren deshalb so schlimm, weil ich nicht sah, wie die anderen tanzten, sie mich aber sehen konnten, außerdem war es mir unangenehm mit jemandem zu tanzen, von dem ich gar nicht merke, daß ich mit ihm tanze.
Erst in der 10. Klasse wurden die Mitschüler vernünftiger. Außerdem hatte ich den Entschluß gefaßt, Jura zu studieren und betrachtete die Schule mehr als notwendige Station zum Abitur, als als Ort von dicken Freundschaften. In der 7. und 8. dachte ich noch das tun zu müssen, was alle taten, um in zu sein, doch dabei fühlte ich mich nicht wohl und war nicht in. Nun war ich ganz ich, fühlte mich wohl und erwartete keine Verbesserung, doch wer Älter wird, wird enscheinend auch vernünftiger. Heute, in der 12. Klasse, bin ich sehr glücklich, kann allerdings gleichaltrigen nur schwer vertrauen und halte mich daher lieber an Ältere. Ich glaube aber, daß der Besuch einer Regelschule auf das Leben vorbereitet. Man kann von Jugendlichen einfach nicht erwarten, daß sie sich so tolerant verhalten, wie man es vielleicht gern hätte. In einem Jahr mache ich mein Abitur und bin, wie ich finde, mit meinem Motto: "Starke Frauen bracht der Staat. Was mich nicht umbringt, das macht mich stark" gut gefahren.
Pamela Pabst
© by Pamela Pabst
Erstellt am Mi, 11.12.02, 11:00:47 Uhr.
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