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Soziale Integration

Immer wieder lese ich Artikel über das Für und Wider von Integration blinder Schüler. Ich bin, von der 6. Klasse an, bis zum Abitur integrativ beschult worden.

Inzwischen denke ich, die Versorgungsmöglichkeiten für blinde Schüler mit den nötigen Hilfsmitteln und der notwendigen Assistenz, um dem Unterricht annähernd problemlos folgen und sich beteiligen zu können, sind Dank des Computers ziemlich gut. Da ich an meiner Schule nicht die einzige blinde Schülerin war, hatte ich mit der Bewilligung von einem Computer mehr Probleme und deshalb für den Unterricht und die Klausuren einen größeren Aufwand. Paradoxerweise hätte es nur Fördermittel gegeben, wenn ich die einzige Blinde und damit ein Modellversuch einer Schule gewesen wäre. Aber dies ist inzwischen wohl eher die Ausnahme. In den meisten Fällen werden Hilfsmittel bewilligt. Damit läuft die schulische Integration recht problemlos, sodass ein blinder Schüler, wenn es um den Unterricht geht, nicht mehr viele größere Nachteile gegenüber seinen sehenden Mitschülern in Kauf nehmen muß.

Das wesentlich größere Problem ist immer noch die soziale Integration. Integration bedeutet nicht nur die Gewährleistung, den Blinden im Unterricht so wenig wie möglich zu benachteiligen, sondern es muß auch die soziale Integration mit bedacht werden. Die läuft nämlich nicht immer einfach so von allein. Oft wird unter Integration leider verstanden, Unterrichtsteilnahme zu gewährleisten. Außerdem wird der Blinde als gut integriert betrachtet, wenn er überall, egal ob sinnvoll oder nicht, dabei ist, und immer von irgendwem mitgenommen wird. Die Lehrer und sehenden mitschüler werden zwar immer ausführlich darüber aufgeklärt, wie die Blindenschrift aussieht, dass ein Blinder Schreiben und Lesen, ja sogar "frei laufen" kann und wie man Geld unterscheidet. Aber niemand erklärt einem jugendlichen Sehenden, dass es kein Problem ist, mit einem Blinden ins Kino zu gehen, wenn er das auch will. Fast keiner weist die Schüler darauf hin, dass ein sehbehinderter Mitschüler seinen Klassenkameraden, der ihn grüßt oder versucht, im Unterricht Faxen zu machen, nicht aus Desinteresse ignoriert, sondern oft ganz einfach nicht gesehen hat. Niemand erklärt den blinden Schülern, dass Sehende noch andere Komunikationsmöglichkeiten haben, und niemand sagt den sehenden Mitschülern, dass man mit einem Blinden oft anders kommunizieren muß (Gesten allein sind nicht wirklich hilfreich).

Oft kamen wir blinden Schüler uns ein bisschen wie Gegenstände vor. Manchmal kam es vor, dass alle Schüler einfach losstürmten, und noch bevor wir etwas sagen konnten, rief ein Lehrer: "nehmt noch die Blinden mit." So ähnlich wie ich bei einem Umzug mal jemandem nachgerufen habe: "Nimm noch den Tisch mit."

Es wurde überhaupt viel mehr von "den Blinden" als von "den blinden Schülern" gesprochen.

Der Blinde hat einen Namen, er kennt nicht automatisch alle anderen, die auch blind sind, ist auch nicht mit allen blinden Menschen befreundet, und vor allem sind diese Menschen nicht alle gleich und können auch nicht alle das Gleiche leisten, bzw. nicht leisten, nur weil sie blind sind.

Ich vermute, dass dieser Informationsmangel leider auch darauf zurückzuführen ist, dass die unterrichtenden Lehrer selbst oft nicht so offen sind und Vorurteile haben. Das können sowohl positive, als auch negative Vorurteile sein.

Ich hatte eine Lehrerin, die der festen, unumstößlichen Überzeugung war, dass alle blinden Schüler sehr fleißig, und gute Schüler waren. Da war es auch egal, dass ich gerade eine Durchschnittsschülerin, Tendenz absteigend, war. Außerdem hatte ich zunehmend keine Lust mehr auf die Schule. Das hatte verschiedene Gründe. Aber Tatsache war, dass ich im mOment ganz bestimmt nicht fleißig war. Sie hat das gar nicht zur Kenntnis genommen. "Blinde sind ja immer so fleißig." Keine Fakten konnten die Dame davon abbringen.

Ein anderer Lehrer war der Meinung, alle Blinden seien gleich und erbrächten die gleiche Leistung. Ich war noch nie richtig gut in Englisch, von Anfang an nicht. Irgendwann bekamen wir ihn als Englischlehrer. Unsere erste Arbeit, die er benoten musste, gab er mir mit den Worten. "Du musst noch mal Schreiben lernen", zurück. Ich verstand ihn nicht, und er erläuterte, dass er glaube, ich habe Probleme mit der Handhabung der Punktschriftmaschine. Nun wurde ich allmählich sauer, weil ich wusste, dass ich gut Schreiben und Lesen konnte. Er erklärte mir daraufhin, dass das nicht sein könne. Er habe die gleiche Arbeit mit dem letzten Jahrgang auch schon geschrieben. Da waren auch zwei Blinde. Die hätten Beide eine eins bekommen. Da könne ich doch keine Vier haben, denn Blinde seien gut in Englisch, das habe er ja im letzten Jahr mit den beiden anderen Schülern gesehen. Also müssten meine Fehler wo anders zu suchen sein.

Eine andere Lehrerin schloß meine blinde Mitschülerin und mich von einem Theaterstück aus, weil sie meinte, Blinde seien dazu nicht fähig. Erstens würde das dann nicht gut aussehen, und zweitens würden die dann vielleicht von der Bühne fallen.

Wenn die Lehrer den Schülern einen solchen Umgang vorleben, wie sollen die das denn besser machen?

Yvonne Ramm

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© 2005 by Yvonne Ramm
Erstellt am Sa, 20.12.08, 08:01:19 Uhr.
URL: http://anderssehen.at/alltag/berichte/sozintegra.shtml

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