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Blindes Vertrauen

Blindes Vertrauen ist ein Filmtitel. Am 21. November lief er im ZDF und ich habe ein besonderes Verhältnis dazu, denn ich durfte am Drehbuch mitwirken. Alles fing damit an, daß eine Augenärztin, die wieder die meine kannte, anrief.

Ich sei doch so "kommunikativ und interessiert" flötete sie und ich mußte lachen, denn sie hatte "geschwätzig und neugierig" so nett umschrieben. Ihre Freundin sei Drehbuchautorin und würde gerade für einen Film über Erblindung recherchieren, ob ich nicht ... natüüüüüüüüüüürlich wollte ich dabei sein!

Henriette rief an, und wir verabredeten uns, und ich bekam Einblick in das Drehbuchautorendasein. Meist recherchiert sie für mehrere Filme gleichzeitig, denn es kann gut sein, daß ein Drehbuch einfach "stirbt". Es ist gut mehrere Eisen im Feuer zu haben. Der Blindenfilm sollte nicht vorzeitig sterben. Die Intention war, einen Film über die Problematik des Erblindens zu geben und das ein bißchen mundgerecht für die Sendezeit kurz nach acht zu verpacken. Ich plauderte aus meinem eigenen Nähkästchen und bekam die Urfassung des Drehbuchs zum lesen. Eine Liebesgeschichte zwischen einem ziemlich frisch Erblindeten und einer Führhundlehrerin. Jeder liebt zum Schluß jeden, sogar der Führhund wird schwanger. Die Vaterschaft bleibt allerdings im Dunkeln. Happy End. Reines Wunschdenken einer harmoniebedürftigen Autorin, denn das Drehbuch muß Korrektur gelesen werden. Stimmt alles? Ich las, notierte, monierte.

Beim nächsten Mal wurde, weil's besser paßte zu den Änderungen, das Umfeld komplett auf den Kopf gestellt. Hoppla. Eine neue Kulisse. Dann wird das Ganze wieder den Produktionsleitern vorgelegt. Kostenvoranschläge. Rechnet sich das? Ein Risiko ist immer dabei, aber es sollte kalkulierbar sein. Der Regisseur hat auch noch so seine Vorstellungen. Wieder umschreiben, um später entnervt festzustellen, daß es diese Fassung schon mal gab. So ein Drehbuchautor steht ständig unter Strom und wird von allen Seiten unter Druck gesetzt. Man braucht Nerven wie Drahtseile. Ich bekam schon vom Erzählen Stresssymptome. Wieder eine neue Fassung. Der Führhund darf auf keine Rolltreppe? Ei, das wär aber doch ein gutes Bild! Also wird die Rolltreppe gestrichen ... Insgesamt hat Henriette Piper das Drehbuch NEUNMAL umgeschrieben, und ich habe gestaunt, was am Ende herauskam. Irgendwie ist die Geburt eines Filmes wie bei einer Schwangerschaft. Wird der Film dann tatsächlich ausgestrahlt (ist der Titel auch nicht doppelt? Wird kein Copyright verletzt?), dann wird er an seinen Einschaltquoten gemessen. Stirbt da ungünstigerweise der Papst und die Sendung wird unterbrochen, dann kommt der Film in den "Giftschrank". Es ist einerlei aus welchen Gründen er dorthin kam, aber meist bleibt er dann dort und findet nicht mehr auf die Mattscheibe. Der Drehbuchautor guckt finanziell in die Röhre, weil ja auch Wiederholungen Geld bringen.

An einem Drehtag durfte ich mit dabei sein. Im Vorfeld gabs das Dispo. Das ist ein Schreiben, ein Plan auf dem haargenau steht wer wen mit was abholt. Und wo. In welchem FAhrzeug. Das Kennzeichen. Die Telefonnummer. Ankunft, Abfahrt. Die Route, die Unterbringung, usw. Wer welchen Posten hat. Es gibt die FAhrer, dann die Leute, die den Drehbereich abschirmen und bewachen, damit keiner die Aufnahmen verpatzt. Die Tontechniker. Die Kamerafrau und den Assistenten. Jemand fürs Scribt und dann noch einen zur Sicherheit des Scribts.

Haben Sie schon mal mitten im Film gesehen, daß von einer Szene zur andern andere Bettbezüge zu sehen waren? Das ist ein Fehler, der nicht passieren darf. Dann gibt's jemanden, der die Technik aufbaut und abbaut. Dann den Cateringservice. (Es ist zu beachten wer von den Schauspielern eine Allergie hat. Er könnte plötzlich Ausschlag kriegen oder einen Hustenanfall oder einfach schlechte Laune). Den Regisseur nicht vergessen und seinen Assistenten. Die Kostümfrau an der lauter Fäden, Sicherheitsnadeln, Bänder und Klebstreifen baumeln. Die Bluse der Hauptdarstellerin raschelte ganz furchtbar am versteckten Mikrofon, also mußte eine Nadel her, die den Faltenwurf vermied. Oh, und eine Mobilitätstrainerin war auch am Set. Sehr spannend. Wir fuhren nach der Wegbeschreibung des Dispos zum Set in der Söhnleinvilla in Wiesbaden. Führnehme Gegend das. Ein Sicherheitsmensch mit Kopfhörer holte sich erst grünes Licht eh wir an die Villa randurften. Dann das Signal, daß grad eine Szene im Kasten sei und wir nun innen reindürften.

Die Vorhalle war zu zwei Dritteln leer und im letzten Drittel knäuelten sich die Filmleute. Wir waren angemeldet, wurden vom Regisseur empfangen und durften in die "Kuschelecke". Die zwei Sessel standen an der hinteren WAnd und so hatte ich gute Sicht auf die Rückfronten aller Mitarbeiter. Die Schauspieler hörte ich nur. Sehen konnte ich sie nicht. Insgesamt 24 Leute standen zwischen mir und der Kamera und davor zwei Schauspieler und ein netter blonder Führlappi. Immer wieder wurde die eine einzige Szene gedreht.

Blinder Werbefuzzi kommt mit Hund in Werbeagentur und zeigt der Führhundlehrerin seine Arbeitsstätte. Hund trabt gleich nach rechts aus dem Bild, Blinder auf die Kamera zu. Die Frau schwenkt zu den Bildern an der Seite, macht eine Bemerkung, die den Werbemenschen aus der Fassung bringt und dann - Klappe -.

Das Parkett in der Villa knarzt. Es knarzt auch, wenn die Schauspieler still stehen, aber der Tontechniker mit dem Galgenmikrophon rumjongliert, um den richtigen Abstand zu bekommen. Der Tontechniker wird mit Filzmatten schallgedämpft und geht auf Zehenspitzen.

Dann raschelt das Mikrofon an der Baumwollbluse. Ich erfahre, daß Seide am lautesten sei. - Klappe - nochmal. "Lauf mal langsamer!". Heikko Deutschmann, der auch für AOK-Werbeclips lebensfroh über grüne Wiesen tollt, versucht sich erneut in blinder Fassungslosigkeit. Immer wieder. Ich staune über die vielen Facetten, die der Mann zum Ausdruck bringen kann. Mal klingt es resigniert, mal mehr wütend,... und immerwieder dasselbe. Dann wird mit der Kameraeinstellung rumjongliert. Die Kamera steht auf Schienen, die wiederrum auf Filzmatten verlegt sind, um das Parkett zu schonen. Der Regisseur kontrolliert an seinem Monitor. Jeder hat Kopfhörer und ist mit jedem verbunden. Der Tontechniker hat eine umgebaute Sackkarre mit lauter Kabelkram. Überall Kabel, Kabel, Kabel.

Insgesamt saßen wir beiden Frauen drei Stunden unbeweglich da. Es darf keiner einen Mucks tun. Essen und mit Bonbonpapier rascheln ist strengstens verboten. Dann fällt einem Techniker auf, daß die Marke des Handys erkennbar ist, also muß die abgeklebt werden. Das wäre Schleichwerbung. Endlich gibts eine Pause. Ich bin durchgefroren, denn anscheinend wurde nicht nur der Sekt in der Villa gut gekühlt. An der Treppe gibt mir Henriette einen freundlichen Schubs, der mir fast den Hals bricht, da ich um Gleichgewicht ringe. Draußen wackel ich mal richtig mit allen Gliedern und giere nach einem belegten Brötchen. Der Regieassistent motzt Henriette an und ich schlendere zum Tontechniker, der den Kofferraum öffnet und mir was von Windwirbeln und deren Akkustik erzählt. Ich darf mir ein flauschiges Mikrofon genau begucken. Jörg Kachelmann hat auch immer so ein langhaariges Teil in den Händen, wenn ihm der Sturm um die Ohren tost.

Wir verlassen steifbeinig und verfroren das Set. Später erfuhr ich, daß der Regisseur in Eigenregie einiges am Text geändert hatte. Auch waren Heikko Deutschmann und seine Führhundlehrerin als Liebespaar nicht richtig stimmig. Das ganze Filmmaterial muß auf die Sendezeit von 90 Minuten geschnitten werden. Auch durch Schnitt kann der Film den Schwerpunkt verlagern und so wurde aus der Liebesgeschichte die Rivalität zwischen zwei Werbebrüdern. Die Schwangerschaft blieb dem Führlappi erspart.

Ach, und noch was. Die Schauspieler sehen in echt richtig klein aus. Muß an der Kameraeinstellung liegen. Das Leben ist halt Ansichtssache.

Ulrike Geilfus

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© 2005 by Ulrike Geilfus
Erstellt am Do, 19.01.06, 09:46:09 Uhr.
URL: http://anderssehen.at/alltag/berichte/vertrauen.shtml

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