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Aus meiner Arbeit als Kirchenmusiker

Blinde sind schon früher gute Organisten gewesen, haben auch vorbildliche Chorarbeit geleistet, doch letzteres ist eher seltener. Als bekannte Namen könnte ich an dieser Stelle Namen wie Konrad Paumann, Gaston Litaize, Jean Langlais, Helmut Walcher etc. nennen. Und bei solchen Vorbildern sollte ich es nicht als Kirchenmusiker versuchen? Und trotzdem gibt es viele Dinge, die man sich anders organisieren muß, als es ein sehender Kantor, so die offizielle Berufsbezeichnung, tun muß. Aber ich sollte vielleicht nicht gleich das Pferd vom Schwanz aufzäumen, also beginnen wir, wie es sich gehört, von vorne:

Mein Name ist Daniel Heinrich, und ich bin trotz meiner Blindheit als hauptberuflicher Kirchenmusiker in Munster angestellt. Munster ist tatsächlich kein Schreibfehler, und heißt nicht etwa Münster. Es liegt in der Lüneburger Heide und ist Deutschlands größter Truppenstandort. Ich arbeite allerdings nicht an der Militärkirche, sondern in einer Zivilgemeinde. Ich betreue alles, was auch nur im entferntesten mit Musik zu tun hat. Meine Aufgaben sind die Gestaltung der Hauptgottesdienste, Andachten, Taufen, Trauungen und Beerdigungen, die Leitung des Jugend- und Kirchenchors, sowie des Posaunenchores und der Jugendband. Es fehlt in dieser Auflistung eigentlich nur ein Kinderchor. Der wird aber von meinem Kollegen an der Militärkirche gemacht, weil zwei Kinderchöre für eine so kleine Stadt wie Munster einfach zu viel sind. Dafür besitzt Urbani, meine Kirchgemeinde, eben den Posaunenchor und die Band.

Meist stellt sich für alle Tätigkeiten die Frage nach Notenmaterial zuerst. Für die Orgeldienste ist das kein Problem, denn ich kenne inzwischen alle Gesangbuchmelodien auswendig und kann frei über sie improvisieren oder eigene Begleitsätze dazu machen. Die Melodien sind als Blindennoten erhältlich, so daß man gut in der Lage ist, sich neuere Lieder zu erarbeiten. Auch die gängige Orgelliteratur ist in Blindennotenschrift erhältlich. In manchen Fällen sind es zwar längst veraltete Ausgaben, die da übertragen wurden, doch es ist besser als nichts.

Schwieriger wird es da schon mit Chorliteratur. Vieles von dem, was ich mit dem Chor mache, bzw. gemacht habe, habe ich mir selbst abgeschrieben. Dafür war es notwendig, daß mir jemand die Noten stimmenweise auf Kassette aufnahm. Da ich ein gutes Ohr für Tonhöhen besitze, den Begriff "absolutes Gehör" mag ich nicht, macht mir das Abschreiben also keine Probleme. Es kam auch schon oft vor, daß ich einfach Stücke von einer CD- oder Plattenaufnahme abgeschrieben habe.

Noch anders läuft es beim Posaunenchor. Dort stehen mir Bläser zur Verfügung, die alle gute Blattleser und -spieler sind. So kann ich mir Stücke mit einem von ihnen heraussuchen und sie mit ihnen proben, ohne irgendwelche Noten abzuschreiben. Da ich durch meine Musikerfahrungen in den meisten Stilen gut bewandert bin, kann ich sofort meine eigene Interpretation aus dem Notenmaterial entwickeln, das ich da zu hören bekomme. Oftmals gehe ich aber auch das Stück mit ihnen durch und erfrage verschiedene Einzeichnungen dynamischer oder artikulatorischer Art. Zugegeben, meine Interpretationen mögen am Notentext gemessen nicht die genauesten sein, aber sie sind musikalisch und klingen ordentlich. Was braucht es mehr?

Bleibt nur noch die Band, bei der ich das meiste auch über die Improvisation mache. Außerdem entstehen viele Arangements über ausprobieren und ändern. Das ist beim Umgang mit Popularmusik so üblich.

Bleibt noch die Problematik der Gruppenleitung: Normalerweise hält ein Chorleiter ja immer Augenkontakt zu seinen Sängern oder Spielern. Da das nun bei mir nicht möglich ist, mußten sich meine Gruppen daran gewöhnen, mich von allein hin und wieder mal anzusehen. Das erfordert ein Höchstmaß von Selbstdisziplin, die ich manchmal wiederholt einfordern muß. Ich bekomme ja durchaus über das Ohr mit, wenn eine Gruppe nicht so singt, wie ich es anzeige. Überhaupt ist Chorleitung ja doch eher eine Sache des inneren Gefühls, weshalb sie auch von Blinden gut gemacht werden kann.

Um meine Arbeiten so gut wie möglich machen zu können, steht mir eine große Computeranlage zur Verfügung. Ich kann also meine Post selbstständig lesen, mir neue Verlagsprospekte erarbeiten, oder Rundbriefe schreiben. Schwierig wird es nur dann, wenn ich Plakate für Konzerte brauche. Ich habe hier einige Freunde gefunden, auf deren Hilfsbereitschaft ich mich verlassen kann. An dieser Stelle sei diesen Leuten herzlich gedankt. Ich hoffe und wünsche mir, daß ich, mit Gottes Hilfe, diesen Beruf noch lange ausüben darf. Wie sagte der alte Bach doch: "soli deo gloria"

Daniel Heinrich

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© 2001 by Daniel Heinrich
Erstellt am Mo, 23.04.01, 08:01:19 Uhr.
URL: http://anderssehen.at/alltag/beruf/daniel.shtml

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