Im Sommer hatten wir das Glück, Urlaub in Boltenhagen an der Ostsee erleben zu dürfen. An einem Vormittag unternahmen wir einen Spaziergang in den Nachbarort Tarnewitz. Dort angekommen, verspürten wir ziemlichen Durst. Also machten wir uns auf die Suche nach einer Gaststätte. Da kam uns der Zufall, wie wir meinten, zu Hilfe. Ein Auto hielt, ein Mann und eine Frau stiegen aus, und steuerten auf die geöffnete Tür eines Gebäudes zu. Während wir noch zögerten, drehte sich die Frau in der Tür um und ermunterte uns, doch einzutreten, es sei bereits geöffnet. Das Paar lotste uns über das etwas unwegsame Gelände ins Haus. Uns wurden zwei Plätze an einem Tische angeboten, und man teilte uns mit, dass wir uns im Wohnzimmer befänden. Das fanden wir etwas ungewöhnlich, aber wahrscheinlich hatte sich - so überlegten wir - ein Gastwirt einmal eine andere Variante ausgedacht. Inzwischen hatten auch andere Gäste das Haus betreten. Ein Herr entschied: "Also fangen wir an."
Er kam an unseren Tisch und fragte, womit er uns dienen könne. Durstig, wie wir waren, erkundigten wir uns nach etwas Alkoholfreiem. Es entstand eine kurze Pause, dann meinte der Herr verlegen: "Getränke haben wir eigentlich gar keine. Sie befinden sich in einem Musterhaus, welches heute zur Besichtigung geöffnet ist." Nun war die Verlegenheit auf unserer Seite. Aber nach einer Erklärung, die kurz ausfallen konnte - wir waren schließlich gekennzeichnet - nutzten wir die unverhoffte Gelegenheit, uns das Haus auch gleich ein wenig zeigen zu lassen.
So kann es gehen, wenn einer nicht mehr viel und der andere gar nichts sieht. Wie wir uns auf dem Rückweg amüsiert haben, das können Betroffene, die gewohnt sind, ähnliche Situationen mit Humor zu nehmen, sicher sehr gut nachempfinden.
Aus: "Die Gegenwart", Zeitschrift des DBSV, Nr. 1, Jänner 2001.
Weitere ausgewählte Artikel aus der "Gegenwart" finden Sie auf der
Homepage des Deutschen Blinden- und
Sehbehindertenverbandes.
Erstellt am Fr, 02.02.01, 08:01:19 Uhr.
URL: http://anderssehen.at/alltag/passiert/wohnzim.shtml