Am Freitag wollte ich eine Fahrkarte lösen und zog, ausgerüstet im vollen Blindendress (dunkle Brille, Stock und Narrenkappe) los. Heftiges Geknäuel an den drei Schaltern. Ich tippte einen rundlichen Lockenkopf in den 40ern an und erkundigte mich, ob er das Ende der Schlange sei. Er wollte eine Expresskarte lösen, und führte mich an den richtigen Warteplatz. Da stand ich und konnte ihn auf diese Distanz gut beobachten. Er hatte einen Kinderwagen mit drei Kindern neben sich stehen und war sichtlich unter Zeitdruck. Die Kinder lösten sich von ihrem fahrbaren Untersatz und schwärmten aus. Der Vater konnte seinen Warteplatz nicht riskieren und blieb stehen. Der Bub kam mit einem Packen Prospekten, das Mädel wollte oben ins Regal und balancierte auf dem Roller, um an Höhe zu gewinnen. Das Kleinste knurrte unmutig aus dem Kindersitz. An den Schaltern bewegte sich nichts. Besonders bei Express. Der Mann wies genduldigst seine Kleinen zurecht und scharrte mit den Hufenden, mütterlich fürsorgliche Blicke in die Runde werfend. Endlich, ein Platz wurde frei. Das Mädel auf die Theke gesetzt, die Karte gelöst. Und obwohl der Mann sicher keine Zeit zu verlieren hatte, kam er noch zu mir gerannt, nahm mich vorsichtig an die Hand, führte mich zu dem freien Schalter und pflückte erst dann seine Tochter von der Theke. Ich war ganz gerührt, aber mein Dank erreichte nur noch die Staubwolke, die die kleine Gruppe hinterließ.
Das Lösen meiner Karte dauerte eine verträumte halbe Stunde, da ich so günstig wie möglich fahren wollte und der Beamte alle Verkehrsverbünde raussuchen mußte. Nach mir ging nichts mehr, da der erschöpfte Bahnangestellte das Schild "geschlossen" am Schalter aufstellte. Als ich ihm auf die Frage, ob ich noch einen Wunsch habe, antwortete: "Keinen, den Sie mir erfüllen könnten", war er sichtlich erleichtert.
© 2002 by Ulrike Geilfus
Erstellt am Do, 12.05.05, 08:01:19 Uhr.
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