Ich höre bis 02:00 Uhr MDR Info und schlafe bis 05:45 Uhr. Die Weltpolitik läßt mich noch nicht los. Ich trinke noch eine Tasse Kaffee und fahre nach Nürnberg. Um 07:29 Uhr geht mein Zug nach München. Die Umsteigerei in München und Salzburg klappt mit Hilfe des Bahnservices tadellos. Ab Salzburg kommt auch ein Mann mit Verpflegung zu den Plätzen und ich kann für die letzten 4 Stunden Fahrt nach aller Herzenslust den Cappuccino genießen. Um 15:12 Uhr stehe ich im Grazer Baubahnhof. Die Salzburger haben auch jemand vom Bahnservice verständigt, der mich zum Bus bringt. Von mir aus, Alleintouren hab ich noch mehr als genug.
Ich fahre mit dem Bus bis zur Haltestelle Grabenstraße und hole meinen Zettel, auf dem Barbara eine richtig blindengerechte Beschreibung mit dem Weg gegeben hat. Ich finde mein Hotel, frage aber sicherheitshalber in einer Reinigung nach, ob ich richtig laufe. Die Chefin vom Restaurant Hendl-Eck und vom Hotel Alter Telegraph ist zufällig dort und holt mich auf dem Weg ein. Das Zimmer ist klein, aber mein und fein. Ich muß mir, für Blinde meist schwieriger, nicht mein Frühstück vom Buffet organisieren, es wird mir am Vorabend aufs Zimmer gestellt. Super, ich bin total unabhängig!
Ich packe aus und lege mich bis 17:00 Uhr etwas aufs Bett. Danach ab zum Shopping und Bummeln in die Grazer Fußgängerzone. Barbaras Wegbeschreibung (ich trage mehrere Blindenschriftzettel zusammengefaltet in der Handtasche) bringt mich sicher zur Bushaltestelle! An der Kepplerbrücke versinke ich meditativ in meine Zettel, weil ich nicht weiß, welche Straßenbahn ich nehmen soll. Es ist auch irgendwie keiner zum Fragen da. Ich rufe bei Barbara an. Das Selbe, wie zum Glockenspielhaus. Hauptplatz, respektive Herrengasse aussteigen, wegen dem Umbau. Ach so. Ich frage auch nach dem Kaufhaus Kasten & Öler und finde es! Dort kaufe ich ein Haarband. Nichts großes, Hauptsache, es erinnert mich an Graz. Vorher versuchte ich im Steirischen Heimatwerk eine Plastik vom Uhrturm zu erhalten. Die haben so was nicht. "Der Költsch, nein, wie heißt der, Kölz könnte so was haben", meinte die freundliche Verkäuferin dort. Schwupp, Name falsch gesagt, Name falsch eingeprägt, für die nächsten Stunden zumindest.
Zur Sporgasse schaffe ich es in der Kürze der Zeit nicht mehr. Es ist 3 vor sechs und um 18:00 Uhr macht der Kölz zu. Ich kann nicht fliegen, so gern ich es manchmal möchte.
Ich fahre mit Straßenbahn und Bus zum Hotel zurück und esse im Hendl-Eck Backhendl mit Salat. Der Salat ist mit Kernöl angemacht, zumindest der Grüne. Kürbiskernöl wird in der Steiermark oft bei Salaten verwendet und schmeckt nussig und gut!!! Gegenüber bestellt ein Herr einen "Weißen Sturm". Bitte nicht, ich brauch weder Schnee noch Sturm. Da man das Wetter nicht mal in der Steiermark bestellen kann, frage ich den Ober, was ein "Weißer Sturm" ist. Ein Junger Wein ist es. Ich entscheide mich doch lieber für einen hausgemachten Apfelstrudel und einen Cappuccino mit "Schlag". Der hat sich keine Schlappe bei Sturm Graz abgeholt, der "Schlag" ist in Österreich die Schlagsahne.
Die Chefin kommt und fragt, ob ich alles in der Fußgängerzone gefunden hätte. Ich frage, ob der "Költsch oder Zölsch" am Übergang Sporgasse Hauptplatz ist. Die Antwort hilft mir augenblicklich nicht großartig, der Herr gegenüber meint aber, weil ich große Schwierigkeiten mit dem Geschäftsnamen habe: "Kölz, wie Köln, nur mit Z hinten." Ich lerne, daß alle Österreicher hören, daß ich aus Deutschland komme. Kölz kann ich mir jetzt in alle Ewigkeit merken.
Die Chefin erklärt mir im Zimmer die Fernbedienung und bringt das Frühstück. Ich gucke die Politsendung und die Zib, dusche und flechte meine Haare zu 10 Zöpfen. Morgen, nach dem Öffnen der Flechten, werden sie lockig bis zur Taille fallen und ich werde viele kleine Goldperlen in die offenen Haare stecken.
Um 10 Uhr mache ich mich auf den Weg zum Glockenspielhaus. Ein älterer Grazer läßt es sich nicht nehmen und bringt mich hin. Ich sage, daß er ruhig seine Geschäfte erledigen kann, denn ich hab ja Wegbeschreibungen und werde es finden. "Nein, das lasse ich mir nicht nehmen! Da sind doch so viele Autos und Baustellen", meint er. Wir plaudern bis zum Glockenspielhaus und ich bereite den Minidiskrecorder vor.
Erst höre ich eine Französin einer Gruppe über das Glockenspiel berichten und dann stelle ich mich näher zu einer Schweizerin, die vom Glockenspielhaus einer Gruppe erzählt: "So, wir sind jetzt hier am Glockenspielplatz angelangt. Der Glockenspielplatz ist nach diesem Haus hier benannt. Gottfried Maurer war ein Schnaps- und Spirituosenhändler; Und er ist in Europa viel herum gereist, hat viele Glockenspiele gesehen, war so begeistert, daß er sich entschlossen hat: "Wenn ich wieder nach Graz komme will ich das dort auch installieren." 1806 kauft er dieses Haus, läßt dort oben einen Turm errichten, wo er 24 Glocken hat aufhängen lassen. Jetzt ist ihm das Spiel zu teuer gekommen und er schenkt es der Stadt. "Aber, ich wünsche", sagt er, "daß dort nur Steirische Musik gespielt wird und es muß zu lesen sein, was gespielt wird." Aus dem Grund hängt beim Eingang die grüne Tafel, dort können Sie nachlesen, was gespielt wird. Um 11 Uhr jetzt werden diese beiden Butzenscheibenfenster aufgehen und es kommen zwei Figuren, eine Frau und ein Mann raus. Er hat die Lederhosen an und sie ein Alltagsdirndel. Er hat einen Becher in der Hand und sie ein weißes Tüchel. Mann sagt, sie sind Feldarbeiter und sie bringt ihrem Mann die Jause (Pausenbrot) aufs Feld, aber vorher soll er noch mal tanzen mit ihr. Und die tanzen dann auf die Musik, drei Lieder werden gespielt. Nach dem dritten Lied kräht der Hahn dort Oben und dabei versucht er seit neuestem die Flügel zu bewegen. Er ist gerade restauriert worden. Unter der Uhr sehen Sie eine Kugel und die zeigt uns den Stand des Mondes. Sie sehen, sie ist grad im abnehmen."
Ein Vorspiel erklingt, die 11 Glockenschläge und dann das erste steirische teils mehrstimmige Lied. Nach einer längeren Pause folgt das 2. mehrstimmige, etwas ruhigere Lied. Vor dem 3. Lied fängt die Erzählerin von der Santa Claragasse zu reden an und von einem Pfarrer, der in Wien war. Sie berichtet die Anekdoten mit ihren schrillen Worten in das Glasperlenspiel der Glockentöne durch das ganze dritte Lied hindurch, mit der Sensibilität eines Elefanten im Porzellanladen. Ich sage nichts, um die Aufnahme der Glocken nicht selber noch vollends zu verderben. Aber, schade ist es schon um die feinen diesmal hohen Glockentöne. Übrigens, das Glockenspiel ist täglich um 11, 15 und 18 Uhr zu hören.
Ich gehe zum Kölz und erwerbe ein fühlbares Modell des Uhrturmes und (manchmal stehe ich auf Kitsch) zwei kleine Puppen. Einen Steirer und eine Steirerin in Tracht.
Meine Jacke habe ich mir um die Hüften geschlungen. Es ist warm in Graz. Ich fahre zum Uhrturm mit dem Lift und will um 12 Uhr die Glocken aufnehmen. Man hört sie von hier aus von allen Seiten. Es pfeift der Wind dort Oben und ich muß die Jacke anziehen. Die Aufnahmen gelingen wegen des Windes nicht so gut, aber, die Stereoakustik auf der MD ist schon beeindruckend.
Ich treffe einen Mann und eine Frau, sie gehen mit mir nach Unten zur Haltestelle. Ich muß umsteigen vom Bus zur Straßenbahn und fahre zum Internetcafé für Blinde.
Überhaupt! Graz ist eine sehr blindenfreundliche Stadt! In der Innenstadt gibt es viele Blindenampeln und an neuen Haltestellen vorne ein Noppenfeld. Steht man dort, ist der Fahrer verpflichtet, zu halten.
Ich treffe Michael und gehe mit ihm zu seiner Firma, die ja auch das Internetcaffé betreibt. Dort surfe ich und Michael erklärt mir, wie ich mit Jaws und dem Internetexplorer zurecht komme.
Dann zeigt er mir das Landhaus und die Innenhöfe. Wir fahren zu ihm und warten dort auf eine Freundin von ihm. Mit Birgit gehen wir zur Burg und zur Doppelwendeltreppe.
Das ist interessant: Eine Treppe geht Rechts, die Andere Links herum. Viermal treffen sie sich auf den Absätzen und man kann von einer auf die Andere wechseln! Es sind ca. 49 Stufen. Ich hab wohl zum Schluß einen Doppelwendeltreppendrehwurm und kann nicht mehr richtig zählen. Birgit zählt auf ihrer Treppe immer 49. Ich komme auf der Rechten Seite immer auf 51. Ich sehe schon, ich muß noch einmal hin fahren, um nachzuzählen.
In einem Restaurant esse ich einen Käferbohnensalat mit Kernöl. Käferbohnen sind etwas größer, als Rote bohnen und schmecken super! Birgit ißt einen Vogerlsalat, einen Feldsalat. Anschließend gehen wir in ein Café und die beiden fahren mit dem Bus weiter. Ich warte auf ein Taxi. Der Fahrer hat mich wahrscheinlich übersehen. Eine halbe Stunde kommt niemand. Michael ruft noch einmal dort in der Zentrale an und jetzt klappt es. Aus dem kalten Regen rein in mein warmes Zimmer und unter die Warme Dusche!
Ich verschlafe. Es ist 11 Uhr. Um 12 Uhr soll ich bei Barbara sein. "Nein, ich hab Urlaub, jetzt wird gefrühstückt. Ich fahr mit dem Taxi und nicht mit den öffentlichen." So mache ich es auch und bin um 12 Uhr dort. Gabriel schmecken die mitgebrachten Nürnberger Lebkuchen! Wir unterhalten uns. Dann macht Gabriel sein Mittagsschläfchen. Barbara legt sich einwenig zu ihm, bis er eingeschlafen ist. Ich studiere in der Zwischenzeit die Grazkarten für Blinde. Das Odilieninstitut hat einen großen Stadtplan mit Haltestellen, Telefonzellen, dem Verlauf der Öffentlichen Verkehrsmittel, usw. für Blinde als Reliefkartenwerk heraus gegeben. Die Stadt ist dort in Planquadrate unterteilt und für jedes gibt's eine große Reliefkarte. Zusammengefaßt ist das Werk in einem Koffer und kostet umgerechnet 100 DM. Für eine Reise ist es zu sperrig. Würde ich in Graz leben, hätte ich die Karten auch bei mir zu Hause!
Barbara kocht, will sich aber nicht helfen lassen, ich bin ja schließlich zu Besuch hier, sagt sie. Wir unterhalten uns. Sie macht einen tollen Tomatensalat mit Paprika und Apfelessig und Kernöl und mit Frischkäse überbackene Schnitzel mit Petersilienkartoffeln. Mmm!
Dann spielen wir mit Gabriel und seiner Eisenbahn und machen mit ihm "Müller Müller Sackerl".
Barbara nimmt Gabriels Hände, ich seine Füße und wir schaukeln ihn hin und
her.
"Müller Müller Sackerl. Ist der Müller nicht zu Haus,
Schloß vor,
Riegel vor,
werf mer's Sackerl hinter's Tor"
Dann werfen wir Gabriel auf Barbaras großes Bett, nach dem Rechtsschwung. Gabriel hat sehr viel Spaß dabei und wir wiederholen das Spiel mehrfach.
Wir trinken Kaffee und ich rufe Michael an. Wir wollen noch in die Stadt gehen. Für mein Gefühl fluchtartig muß ich dann Barbara verlassen, weil von ihr aus der letzte Bus um 20 Uhr fährt.
Ich verlängere meinen Grazurlaub bis Mittwoch und buche die Reservierung um. Meine Fahrkarte würde bis zum 12.10.2001 gelten. Dann wollen Michael und ich, nachdem der Rucksack unter gebracht ist, zum Schloß Eggenberg. Es regnet leicht. Am Schloß Eggenberg gießt es in strömen! Wir müssen umkehren. Schade eigentlich.
Der Regen fällt in der Nacht vorm Fenster, ich wickle mich in meine warme Decke und schlafe ruhig ein. Die Atmosphäre erinnert mich an meine Münchner Zeit in meinem Appartement und ich schlafe sofort sicher und ruhig ein.
Ich fahre zum Glockenspielhaus und finde mit der Beschreibung wieder gleich die Stempfer- und die Enge Gasse. Im Café Glockenspiel trinke ich gegen 10:45 Uhr einen Cappuccino mit Schlag und bekomme zum ersten Mal ein Glas Wasser zum Kaffee. Ich genieße den tollen Muntermacher und bereite den MD-Recorder vor. Um 11 Uhr nehme ich erneut das Glockenspiel auf. Diesmal werden andere hübsche Melodien gespielt und niemand quatscht dazwischen!!!
Ich fahre zum Internetcafé, um zu surfen und herauszufinden, ob Hobbythekprodukte in Österreich erhältlich sind. Auf der Grazer Homepage sehe ich, daß am 16.06 um 21:00 Uhr im nächsten Jahr auf 3Sat ein Film über Graz gezeigt wird. "Schätze der Welt, Erbe der Menschheit" heißt diese jeden Sonntag gesendete Dokumentation.
Gegen 14:20 Uhr fährt Michael zum Blindenverband und hilft mir noch umsteigen. Die Haltestelle Wagner-Biro-Straße ist irgendwie die einzige, mit der ich nicht klar komme.
Ich steige Mooshofergasse aus und bedenke nicht, daß ich zwar den Weg zur Haltestelle kann, aber nicht von der Gegenseite. Bei der Ankunft bin ich immer Sankt Peterfriedhof raus. Ich finde aber jemanden, der den Weg zum Sparmarkt kennt. Ich kaufe ein. Ich versprach Michael am Samstag in der Kneipe, für ihn Chili con Carne zu machen. Was ich auch tue! Es schmeckt! Ich darf mir für meine Musiksammlung Lieder aus Michaels Archiv aussuchen. Nein, so viel hab ich glaub ich nicht zu Hause.
Ich träume in den Tag und flechte mir Perlen in die Haare. Michael hat Spätschicht und ich kenne mittlerweile meine Wege in Graz mit angeborener Intuition. Ich bin gegen 17 Uhr im Internetcafé. Birgit wollte kommen und ich wollte sie mit meiner Anwesenheit überraschen. Leider kommt sie nicht.
Etwas lustiges war auch! Zwei Stockwerke über Michael wohnt eine Opernsängerin! Die hörte ich sich einsingen und üben!
Ich packe eher verträumt und langsam, aber ich packe. Ich vergesse nichts. Jedesmal wundere ich mich über meine gute Kenntnis der Wege, die ich vorerst zum letzten Mal gehe. Liegt wohl stark am Mobilitätstraining, das Michael und ich am Sonntag machten. Zweimal gegangen, dazwischen einmal rekapituliert, das reichte mir. Ich fahre zum Internetcafé. In Deutschland gibt's das, so weit ich weiß, nicht für Blinde. Ich surfe ein wenig und Michael bringt mich gegen 13:45 Uhr zur Haltestelle.
Der Abschied von ihm und von Graz fällt mir unendlich schwer. Am Bahnsteig sitzend höre ich meine Minidiskaufnahmen und im Zug auch. Ein Kärntner, der mich anspricht, ob ich Musik höre, ist von den Aufnahmen total beeindruckt.
Ich habe in Graz überwiegend freundliche Menschen kennen gelernt und möchte mich für die Aufnahme sehr herzlich bedanken!!!
In Salzburg klappt die Umsteigerei und in München auch, obwohl wir Verspätung hatten. In Röthenbach-Steinberg werde ich zu meiner Überraschung von Lutz an der S-Bahn abgeholt. Ich komme sicher wieder einmal nach Graz, wenn die Winterkälte dem Frühling gewichen ist.
© 2001 by Sandra Grenzer
Erstellt am Fr, 19.07.02, 08:01:19 Uhr.
URL: http://anderssehen.at/alltag/reise/graz.shtml