Ich mag die Unbefangenheit, mit der Kinder auf meine Blindheit reagieren.
Mein Sohn Gabriel ist knapp zweieinhalb Jahre alt. Er will mir etwas zeigen: "Mama sau!" - und hält mir ein Buch unter die Nase.
Ich: "Was ist den das?"
Gabriel: "Da sau!"
Ich: "Mama sieht das nicht."
Gabriel bestimmt: "Mama sieht das."
Ich: "Nein, Gabriel, Mama sieht das nicht. Meine Augen sind kaputt, drum kann ich nichts sehen."
Stille. Ich spüre förmlich, wie es in Gabriels kleinem Kopf arbeitet.
Am folgenden Tag kuscheln wir morgens gemütlich in meinem Bett. Gabriel betastet behutsam mein Gesicht und fragt: "Mama Augi kaputt?" Dann zieht er vorsichtig eines meiner Augenlider hoch und stellt befriedigt fest: "Kamma aufmachen."
Ich bin bei einer Freundin zu Besuch. Sie hat ihrem fünfjährigen Sohn erklärt, dass ich blind bin. Stefan sitzt mir eine Weile gegenüber und betrachtet mich. Schließlich fragt er: "Wieso siehst Du nichts? Ich sehe doch deine Augen."
Mein Blindenführhund und sein weißes Führgeschirr erregen häufig die Aufmerksamkeit von Kindern:
Ich stehe an einer Bushaltestelle. Neben mir fragt ein Kind seinen Vater: "Papa, was hat der Hund da?" Der Vater hat offensichtlich Hemmungen, seinem Kind zu erklären, dass das ein Blindenführhund ist und ich blind bin. Er antwortet ausweichend: "Das ist zum Halten." Darauf das Kind wissend: "Ah, damit er nicht umfallt."
Einmal fragt mich ein Kind sehr besorgt: "Ist der Hund wirklich blind?"
Ich antworte: "Nein, der Hund ist nicht blind. Ich bin blind."
Darauf das Kind befriedigt: "Ah, dann paßt's."
© 2001 by Barbara Levc
Erstellt am Fr, 22.06.01, 08:16:29 Uhr.
URL: http://anderssehen.at/autoren/mund.shtml