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Paul

Durch eine Freundin lernte ich ihn kennen. Und, ich kann's nicht anders sagen, es war Liebe auf den ersten Griff. Ich spürte sofort, er ist etwas Besonderes. Schon dieser klangvolle Name! Und seine Herkunft! Er kam nicht etwa aus Deutschland, wie seine Kollegen; nein! Paul ist Schweizer.

Da stand er nun vor mir, schlank, etwa gleich groß wie ich, und schmiegte, zu allem bereit, seinen Kopf in meine Hand. Angenehm fühlte er sich an. Ja, ich mußte auch einen Paul haben, meinen!

Eine Woche später war er dann da. Mein Paul überragte mich jedoch beängstigend weit und sah hoch aufgerichtet auf mich herab. Hochnäsig erhob er sein Haupt und zeigte wenig Begeisterung mit mir zu gehen.

Schon beim Einsteigen ins Taxi präsentierte er sich von seiner besten Seite und wollte erst gar nicht auf Einsteiggröße schrumpfen.

Zu Hause angekommen, begann er sofort mit seinen Kollegen zu streiten. Dabei verhedderten sich ihre Glieder und Bänder ineinander, und als ich am Morgen einen von ihnen auswählen wollte, um mich zu begleiten, fielen sie mir alle erschöpft vor die Füße.

Ja, Paul ist nun einmal etwas Besonderes.

Weil er sich nicht an seine Kollegen gewöhnen wollte, bekam er seinen eigenen Raum. Da hing er nun, ziemlich teilnahmslos und sprang mir nur manchmal noch in den Weg, um sich in Erinnerung zu rufen.

Aber schließlich kam sein Tag! Der begann damit, daß ich ihm eine klangvollere Spitze verpasste. Denn mein schöner Paul kann doch nicht mit einem Plastikfuß herumlaufen! Der nutzt sich viel zu rasch ab und klingt nicht gut. Danach ließ er sich sogar von mir auf die richtige Größe schrumpfen.

Als wir in die Kälte hinaustraten, wurde er unwillig. Nach ein paar Schritten versuchte er seine Spitze abzuwerfen. Dann hörte sich sein Klang so anders an, dass ich schon meinte, mich verlaufen zu haben. Schließlich aber fügte er sich, schmiegte seinen angenehmen, glatten Holzkopf freudig in meine Hand und trabte munter vor mir her, immer aufmerksam auf den Weg achtend.

Nur einmal, wohl um mit seinen Kollegen mitreden zu können, die ständig prahlten, wie mutig sie sind, sich in Kanaldeckel zu wagen und wie schön es da drinnen sei, steckte er seine Spitze in ein Loch, zog sie aber sofort angewidert zurück.

Ja, Paul, mein weißer Stock, ist eben anders!

Nun hängt er Tag für Tag an der Garderobe, direkt neben der Tür, nur darauf wartend, dass wir endlich wieder losmarschieren. Wenn der bloß wüßte, was ich noch alles mit ihm vor habe! Als nächstes bekommt er mit Sicherheit ein kürzeres Unterteil verpasst, damit er sich nicht jedesmal so riesig vor mir aufbauen kann.

Petra Raissakis

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© 2003 by Petra Raissakis
Erstellt am Di, 11.02.03, 07:01:19 Uhr.
URL: http://anderssehen.at/autoren/paul.shtml

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