Für viele Menschen ist die bloße Erwähnung eines Computers schon so eine Art Reizwort, ist man doch auf Schritt und Tritt mit dieser weltumspannenden Erfindung unseres Jahrhunderts konfrontiert. Aber mit dem Computer ist es ähnlich wie mit dem Papier: Man kann sich Wissen aus einem Lexikon aneignen, Zeitung lesen, Briefe schreiben - oder Pornos ansehen. Nutzen oder Schaden hängen also vom Anwender ab und nicht vom Medium selbst.
Der Beitrag von Herrn Günther Bahr im Braillereport 2/99 hat mich dazu herausgefordert, über meine ganz persönlichen Erfahrungen mit der Informationsquelle Internet zu berichten. Begeben Sie sich also mit mir auf eine kleine Weltreise und erleben Sie mit, wie ein blinder Computeranwender den Cyber Space erlebt.
Da habe ich in der zeitschrift des deutschen Blindenverbandes gelesen, daß es in Amerika bereits die Möglichkeit des virtuellen Buches gibt. Dabei handelt es sich um ein kleines Gerät in der Größe eines Kassettenrekorders, das man an den Computer anschließt, um sich aus dem Internet gesprochene Bücher "herunterzuladen". Diese kann man dann wie mit einem gewöhnlichen Kassettenrekorder abhören. Das ist doch genau das richtige Angebot für blinde Menschen, nicht wahr? Dann nichts wie hin! Ich tippe also die Adresse ein und warte, was auf dem Bildschirm erscheint - es sind zwei Rahmen, der eine ist mit "Information", der andere mit "Main" beschriftet. Also hineingeschaut und - welche Enttäuschung - der Bildschirm ist, zumindest für mich, gähnend leer. Warum ist das so? Ganz einfach: Der Gestalter dieser Seite hat sich nicht die Mühe gemacht, seine bunten Bilder und Grafiken, gegen die keineswegs etwas einzuwenden ist, auch entsprechend mit einer Beschriftung zu versehen. Ärgerlich, nicht wahr! Das ist etwa so, als würde man eine Reise buchen, um dann festzustellen, daß das Hotel wegen Renovierungsarbeiten geschlossen ist. Dieses Reiseziel hat sich also nicht gelohnt. Zum Glück gibt es ja auch andere Ziele. Und weil ich seit einiger Zeit italienisch lerne, reise ich als nächstes zur Seite des italienischen Blindenverbandes, um festzustellen, welche Angebote (Bücher, Hörkassetten, Urlaubsmöglichkeiten usw.) dort vorhanden sind. Sofort erscheint auf dem Bildschirm eine Fülle von Text-Informationen und Links (so nennt man jene Stellen auf dem Bildschirm, die man nur "anzuklicken" braucht, um nähere Informationen über diesen Begriff zu erhalten. Im Klartext: Das ist ungefähr so, als würde man in einem Hotel eine Reihe von Türen vorfinden, die wohl Türschilder haben, die man aber doch öffnen muß, um zu erfahren, wer oder was sich dahinter verbirgt.
Mein nächstes Reiseziel ist das "Projekt Gutenberg". Im Rahmen dieses Projektes wurden eine Reihe von Büchern elektronisch aufbereitet, die sich blinde und sehbehinderte Computeranwender (aber auch andere Interessenten) nach Hause auf ihren Rechner holen können. Natürlich handelt es sich ausschließlich um Werke, die urheberrechtlich nicht mehr geschützt sind.
Meine nächste Visite gilt der Universität Linz, wo im Rahmen eines EU-Projektet (TestLab) ein Katalog erstellt worden ist, der so ziemlich alle Bücher auflistet, die für blinde Menschen lesbar sind, seien es nun Hörkassetten, Bücher in Blindenschrift oder Bücher auf Disketten oder Bücher online im Internet.
Durch einen Anruf beim ORF weiß ich, daß man sich sowohl das Radio- als auch das Fernsehprogramm nach Hause holen kann - für mich ganz besonders wichtig, um gezielt Sendungen herauszusuchen, die mich interessieren. Die gedruckten Programme sind ja für mich von keinem großen Nutzen. Also rufe ich die Seite auf und lade mir das Wochenprogramm herunter hole es mir sozusagen ab wie die Zeitung bei der Trafik - und ob es draußen regnet oder nicht, spielt keine Rolle. Ach ja, und dann darf ich nicht vergessen, mir eine Tageszeitung zu holen; da müßte ein Artikel über "Shakespeare in love" drinnen sein. Und dann brauche ich auch noch das aktuelle Kinoprogramm für heute ...
Natürlich hole ich, wenn ich schon mal auf Reisen bin, auch meine persönliche Post (Electronic Mail, kurz E-Mail) ab. Fünf Briefe sind es heute: Einer von meiner Freundin im Salzburger Land, die mich einlädt, ein Wochenende bei ihr zu verbringen. Den zweiten kann ich nicht zuordnen, denn ich kenne den Absender nicht, was mich besonders neugierig macht. Es ist die Beschreibung eines elektronischen Hilfsmittels für Blinde, über das ich während meines Aufenthaltes in Kopenhagen bei meinen italienischen Kollegen nähere Informationen angefordert habe. Jetzt hat mir ein Ingenieur der italienischen Firma geschrieben und mir weitere Informationen angeboten. Der dritte Brief ist die Einladung zu einer Sitzung im Blindenverband, der vierte enthält Informationen des Behindertenclubs Bizeps, welche im Internet abrufbar ssind, und der fünfte Brief kommt aus Japan. Gerade auf diese Distanz ist die elektronische Post nicht nur wesentlich schneller, sondern auch deutlich billiger als der traditionelle Brief.
Alles schön und gut, werden Sie sagen, aber wie kann ein blinder Computerbenutzer den Bildschirm überhaupt lesen? Die Antwort auf diese Frage ist weder kurz noch einfach, weshalb ich mich damit begnüge, die verschiedenen Möglichkeiten lediglich zu erwähnen.
Da gibt es einmal eine Art "Zusatzbildschirm", den man wie ein Fenster von 80 Zeichen Breite und einer Zeile Höhe über den Bildschirm bewegen kann. Und auf diesem Fenster sind die Zeichen in tastbaren Punkten, also in Blindenschrift, dargestellt.
Eine weitere Möglichkeit ist die Wiedergabe des Textes auf dem Bildschirm mittels synthetischer Sprache.
Das hört sich einfach an, ist es aber nicht. Aber mit technischen Details möchte ich Sie ja nicht langweilen. Wenn Sie dieses Thema interessiert, dann schreiben Sie mir doch einen elektronischen Brief oder sehen Sie sich meine Homepage im Internet an. Beide Adressen finden Sie am Ende dieses Beitrages.
Distanzen, Witterung und Gepäck spielen bei einer Reise durchs Internet ja keine Rolle, wohl aber Verkehrsaufkommen und sprachliche Barrieren. Zu den sogenannten "Geschäftszeiten" sind - etwa wie während der Verkehrsspitze auf unseren Straßen - sozusagen Gott und die welt unterwegs. Da kann es schon vorkommen, daß man vor dem Bildschirm sitzt und sich fragt, ob man überhaupt noch Antwort von dem Partnerrechner bekommt. Und was die sprachlichen Hürden anlangt, so ist das etwa wie bei einer echten Reise: Es dauert eine zeitlang, bis man auf einen Menschen trifft, der englisch spricht, also bis man einen Link zu einer englischen Internetseite findet.
Und was kostet die Welt? Man zahlt eine jährliche Grundgebühr, damit man überhaupt reisen darf und natürlich auch etwas für jede Reise, nämlich die Telefongebühren für die Zeit, die man unterwegs, also online, ist. Und wie rasch dabei die zeit vergeht, merkt man erst, wenn einem lang nach Mitternacht die Augen zufallen.
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© by Eva Papst
Erstellt am Di, 30.10.01, 06:01:19 Uhr.
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