Es ist nasskalt, als meine Frau und ich gegen 17:30 Uhr die Wohnung verlassen. Das feuchte und für manche unangenehme Wetter spielt in diesen Minuten für mich nicht einmal eine sekundäre Rolle. Vielmehr beschäftigt mich das, was während der nächsten Stunden auf mich zuzukommen droht. Wir hatten zwar bei der Anfang September erfolgten Terminvereinbarung für unsere zehn Behandlungen mitgeteilt, dass ich blind bin, und eine sehr nette Dame am Empfang versprach auch, dass man mir zu Beginn sicher behilflich sein könne, mir die Gegebenheiten zeigt, doch solche, angenehm in meinen Ohren klingende Versprechungen wurden schon oftmals vergessen.
Nicht anders ist es diesmal. Als wir im Kurzentrum Oberlaa ankommen,
meine Frau sich von mir trennen muss, weil die Damen in einem anderen
Stockwerk untergebracht sind, hängt mich die Dame vom Empfang einem
verdutzten Mann an, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist. Er sagt,
dass er auch zum ersten Mal hier sei, doch sie erklärt ihm nur, wie
wir zu den Räumen kommen, in welchen wir behandelt werden. Er
nimmt mich mit nach oben, findet sich zunächst aber auch nicht
zurecht. Das ist natürlich keine gute Voraussetzung, dass ich mich
orientieren kann, mir merke, wie ich das nächste Mal dort hinkomme.
Es dauert einige Zeit, bis er eine Ansprechperson auftreibt, die uns
in sehr freundlichem Ton erklärt, wie wir zu dem gewünschten Ort
gelangen.
In unserer Abteilung angekommen, werden wir von einer Dame empfangen, welcher wir die Behandlungskarten geben. Sie meint zu meinem netten Begleiter, er möge mir zeigen, wo sich das Kästchen zum Aufbewahren von Bekleidung und Wertsachen befindet, denn sie hätte schliesslich zu tun. Der freundliche Mann tut, wie ihm geheißen. Wir entledigen uns unserer Kleidungsstücke.
Wir haben Zeit, uns zu duschen, dann sitzen wir - ich zumindest im Bademantel eingehüllt - auf einer Bank und versuchen, eine Konversation in Gang zu bringen. Das gelingt nicht so besonders. Der nette Mensch fragt mich, ob ich mir meine Kreuzschmerzen beim Liegen geholt hätte. Ich verstehe den Sinn bis jetzt nicht, will von ihm wissen, wie er das meint, worauf er keine Antwort gibt.
Fünf Minuten vor Behandlungsbeginn kommt eine Dame, um uns aufzufordern, ins Wasser zu gehen. Bis zum Beckenrand geleitet sie mich, sagt mir, dass "da Stufen" wären, um ins Wasser zu gelangen. Sie zeigt mir auch, wo ich meinen Bademantel und die Pantoffel deponieren kann. Dann ersucht sie den freundlichen Ausländer, mich ins Wasser mitzunehmen.
Die Wärme tut gut. Drinnen angekommen, beginnt sie, nicht mehr mit mir direkt zu konversieren, sondern teilt immer einen der vier anderen Herren ein, mir die Übung zu vermitteln. "Erklären Sie es ihm". Das Wasser geht mir bis zur Brust. Ich versuche, die Übungen irgendwie mitzumachen.
Langsam scheint sich die Dame auch auf mich einstellen zu wollen, fragt mich, wie ich heiße und spricht mich auch an, wenn ich mich nicht so bewege, wie sie es sich vorstellt. Nach 20 Minuten ist diese Tortur vorbei. Beim Herausgehen hilft sie mir, den Klettverschluss eines Dinges zu lösen, das wir vor Beginn der Turneinheit um unsere Knöchel schlingen mussten. Dadurch wurden die Bewegungen mit den Beinen be- und erschwert. Die jetzt sehr freundlich gewordene Dame zeigt mir die Stelle, wo Handtuch, Pantoffel und Bademantel auf mich warten und übergibt mich einer sehr netten Masseurin.
Wir kommen in einen Raum, wo leise das Radio dudelt. Dort lege ich mich auf ein Bett und genieße die gut 20 Minuten dauernde Massage. Danach werde ich mit Munari beträufelt und gut eingehüllt. Die Wärme, die u. a. mit Senf und Pfefferkörnern erzeugt wird, tut gut, wenngleich das Auftragen auf die Haut beinahe etwas brennt.
Ich brause, werde von einer netten Dame zu meinem Kästchen geleitet. Sie gibt mir meine Behandlungskarte.
Eine Frau mit ausländischem Akzent geleitet mich anschliessend zum Lift und fährt mit mir ins Parterre, wo meine Frau auf mich wartet.
Wir fahren heute zwar zwei Straßenbahnen später weg, doch für mich ist es noch immer viel zu früh. Leider bekamen wir bei der Anmeldung im September keine zeitgleichen Termine.
Bevor man in die Abteilung geht, muss man mit Hilfe der Behandlungskarte Bons lösen. Ich kriege noch keine. Ich sitze eine Viertelstunde in der Halle, als eine freundliche Dame vom Empfang auf mich zukommt, mir sagt, dass sie mich nun in den ersten Stock geleitet. Dort angekommen, gibt sie mir meine Behandlungskarte samt Bons, zeigt mir ein Kästchen zum Umkleiden und weist eine Kollegin auf meine Anwesenheit hin. Bis die Gymnastik beginnt, brause ich ausführlich, ziehe meinen Bademantel an und warte.
Die Therapeutin vom Dienstag erscheint und geleitet mich zum Beckenrand. Welch Wunder! Auf einmal redet sie mit mir, spricht mich nicht mehr in der dritten Person an, wenn sie erklärt, zeigt mir sogar Übungen. Sie ist plötzlich sehr gesprächig. 20 Minuten sind diesmal relativ rasch vorbei, nicht so quälend wie beim ersten Mal.
Ein Patient begleitet mich in einen Massageraum, wo nach kurzer Zeit die Unterwassertherapeutin kommt und mich in Leintücher einhüllt. Es dauert einige Minuten, bis eine sehr liebe Masseurin mit Vorarlberger Dialekt kommt und mich durchknetet. Bevor sie mir das heiße Munari "hinaufgatscht", gebe ich ihr, wie am Dienstag ihrer Kollegin auch, 20 Schilling "Maut". Diesmal hitzt das Munari sehr, sodass ich schon überlege, zu ersuchen, früher aufzuhören.
Ich halte durch, werde von der Masseurin ausgepackt und zu den Brausen bzw. danach zum Kästchen geleitet. Als ich fertig angezogen bin, bringt sie mich in die Halle.
Zu Hause angekommen, bin ich erledigt. Alles rebelliert. Der Kopf, das Kreuz, die Arme und Beine sind wie Blei an mir, so, als ob sie nicht zu mir gehören, der Ischias, weswegen ich hingehe, tut auch gewaltig weh. Ich fühle mich so richtig ausgemergelt.
Wegen Überbuchung haben wir jetzt eine Woche Pause. Wenn wir dann wieder im Rhythmus, zweimal die Woche Behandlung, sind, werde ich wohl in den Krankenstand gehen, denn die Arbeitsbelastung tue ich mir nicht noch zusätzlich an.
Die Dame am Empfang hilft mir auch heute wieder, die Tickets zu lösen und vertraut mich einem Herren an. Der ist auf seine Art sehr nett, wenngleich er anfangs Angst hat, mir beim Ausziehen behilflich sein zu müssen. Manchmal wissen die Mitmenschen anscheinend nicht, wie sie sich Behinderten gegenüber verhalten sollen, und so geschehen viele Peinlichkeiten aus Unkenntnis. Wenngleich dies nicht immer einfach ist, an der Tagesverfassung liegt, ist es unsere Aufgabe, durch normales, nicht belehrendes Reden mit den Leuten dafür zu sorgen, dass dieses Manko immer geringer wird.
Erstmals gehe ich nach dem Brausen gleich ins Wasser, die Stationsverantwortliche, die mich danach auch massiert, empfiehlt es mir. Ich bin etwa 10 Minuten in dem angnehmen, 38 Grad warmen Nass und empfinde es als entspannend. Die Therapeutin, eine Frau mit ausländischem Akzent, erklärt alle Übungen und redet mich an, wenn ich es nicht so ausführe, wie sie es gerne möchte. Zum Abschied reicht sie mir die Hand. Die Massage ist angenehm, kommt mir vom Zeitaufwand aber kürzer vor. Meine Masseurin, die der Aussprache nach aus dem Burgenland oder der Steiermark kommt, begleitet mich in die Halle.
Heute fahren wir mit dem Auto. Grund ist nicht das schlechte, regnerische Wetter, sondern die Tatsache, dass ich zuvor noch zum Arzt ging, um mich krank schreiben zu lassen. Im Kurzentrum kommen wir zehn Minuten vor 18 Uhr an. Ich bekomme meine Bons noch nicht, weil diese erst 30 Minuten vor der Behandlung ausgegeben, geholt werden können.
Die Dame vom Empfang begleitet mich in die Abteilung, zeigt mir ein freies Kästchen, legt meine Behandlungskarte auf den dafür vorgesehenen Platz, sodass die Masseurinnen und Therapeutinnen wissen, wer anwesend ist und wen sie aufrufen. Ich entkleide mich, dusche, treffe den freundlichen Menschen mit dem ausländischen Akzent und wechsle einige Worte mit ihm.
Die Unterwassergymnastik wird von der Therapeutin betreut, die ich bereits von den ersten beiden Malen kenne. Dafür hat mich bisher immer eine andere Masseurin geknetet. Sie findet genau jene Stelle, die mir Schmerzen bereitet. Sie fragt, was die anderen nicht taten, ob ich mich während der 20 Minuten, die ich mit Munari bestrichen, in Papier und Leintücher eingehüllt, lieber am Bauch oder Rücken liegend verbringen möchte. Ich entscheide mich für zweiteres, denn so kann ich die Ereignisse rund um mich besser verfolgen. Das, was danach folgt, gleicht den bisherigen Erlebnissen: brausen, anziehen, von der Masseurin nach unten begleitet werden, heimfahren.
Zur fünften Behandlung fahren wir mit dem Auto. Eine freundliche Frau führt mich hinauf, zeigt mir ein freies Kästchen. Die Gymnastiklehrerin lässt uns Übungen mit zwei kleinen Bällen machen. Die sind natürlich widerspenstig, wollen sich nicht unter das Wasser drücken lassen und entweichen mir einige Male.
Die Masseurin ist relativ unfreundlich, spricht kaum mit mir, was sie allerdings auch nicht muss. Ihr Unwille wird groß, als ich meinen Wunsch äußere, die Munaripackung am Rücken liegend über mich ergehen lassen zu wollen.
Vom Schleim befreit werde ich von meiner Masseurin, die mich bei der letzten Behandlung knetete. "Sie müssen mir sagen, was und wie ich Ihnen helfen kann", meint sie unter anderem. Sie begleitet mich auch ins Foyer.
Die zweite Hälfte der Kur hat begonnen. Wir fahren mit der Straßenbahn. Natürlich bin ich um Einiges zu früh dran. Diesmal will mir die Dame vom Empfang beinahe nicht helfen, wird auch von der Verpflichtung erlöst, weil mich ein Kurgast mitschleppt.
Wir gehen etwa zehn Minuten früher ins Wasser. Die Gymnastiklehrerin, jene Dame mit ausländischem Akzent, die ich bereits kenne und welche gut erklären kann, kommt ziemlich spät.
Am Ende der 20minütigen Übungszeit wird mir schon etwas schwindlig. Zum ersten Mal massiert mich ein Herr. Der greift schon um Einiges kräftiger hinein als die Damen.
Vom "Gatsche" befreit mich eine Dame, die zunächst gar nicht mitkriegt, dass ich nichts sehe. Sie wundert sich zwar, dass ich meine Badeschuhe nicht gleich finde, fragt mich, ob mir nicht gut sei, was auch stimmt, denn der Schwindel von Vorhin macht sich beim Aufstehen wieder bemerkbar. Als sie feststellt, dass sie einen Nichtsehenden vor sich hat, will sie die zunächst nicht geleistete Hilfe ausgleichen. Sie akzeptiert es aber, dass ich sie bitte, nur die Hilfe zu leisten, um die ich sie ersuche. Wir kommen ins Gespräch, unterhalten uns zwar nur über Oberflächliches, aber immerhin kommt eine Konversation zustande. Sie begleitet mich zum Empfang.
Das Wetter passt irgendwie zum Fest des heiligen Nikolaus. Die Flocken fallen ins Gesicht, bleiben in den Haaren als nasses Etwas, und der Schnee knirscht herrlich unter den Schritten.
So früh wie heute bin ich noch nie in der Station gewesen. Die freundliche Dame vom Empfang gibt mir meine Bons und geleitet mich hinauf. Ich ziehe mich langsamst aus, dusche ausführlich und bin sehr rasch im Wasser, was ich durch das zu lange Drinnenbleiben kreislaufmäßig zu spüren kriege.
Zum ersten Mal haben wir einen Mann als Gymnastiklehrer, der leider nicht gut deutsch spricht, was mich weniger stört, aber leider auch nicht erklären kann. Männliche Hände kneten mich und packen mich ein und aus, derselbe Herr führt mich zum Empfang.
In Oberlaa sitze ich diesmal einige Zeit wartend in der Vorhalle. Ein Herr, den ich schon mehrere Male getroffen, nimmt mich nach oben mit. Die Wartezeit im Foyer ist allerdings nicht so unangenehm, denn sie haben ein Tonband mit schöner alpenländischen Adventliedern laufen.
Diesmal mache ich nicht den Fehler der letzten zwei Male, wo ich zu
früh ins Wasser ging und deshalb auch schwindlig wurde. Die
Therapeutin, die ich nun schon am besten kenne, turnt mit uns. Dazu
verpasst sie uns Fußfesseln und gibt uns für die Übungen im
Armbereich eine Stange. Anschliessend massiert sie mich. Während der
gesamten Zeit plaudern wir angeregt über Musik und das Musizieren.
Die Munaripackung bekomme ich am Rücken liegend. Nach dem Prozedere
des Brausens und Anziehens begleitet mich ein junger, freundlicher
Mann nach unten.
Im Grunde genommen bin ich froh, dass ich das letzte Mal in Oberlaa bin. Die Dame von der Rezeption bringt mich gleich nach oben. Dort erwartet mich Peter, ein Absolvent des Blinden-Institutes, das er 1988 verlassen hat. Er behauptet, mich zu kennen, ich denke aber, dass er mich mit meinem Bruder verwechselt.
Die Therapeutin kenne ich. Es ist jene Dame mit ausländischem Akzent, die sehr freundlich ist und versucht, gut zu erklären. Die Masseurin kenne ich nicht. Nach dem Duschen und Anziehen muss ich mich zunächst allein auf den Weg machen, da Niemand zugegen ist. Natürlich verrenne ich mich. Glücklicherwiese kommt ein Therapeut, der mich nach unten bringt.
Die Kur hat im Endeffekt nichts gebracht. Die Schmerzen sind nicht viel geringer geworden. Die Masseurin, die mich heute massierte, empfahl mir zwar, einen zweiten, zehn Behandlungen dauernden Zyklus anzuhängen. Das tu ich mir aber nicht mehr an. Der Krankenstand war allerdings nicht unangenehm. Ich könnte mich ans Daheimbleiben gewöhnen!
© 2001 by Walter Lindner
Erstellt am Fr, 06.09.02, 08:01:19 Uhr.
URL: http://anderssehen.at/alltag/berichte/kur.shtml