Es geschah bereits am letzten Heiligen Abend. Mit meiner Familie waren wir - wie schon seit vielen Jahren - über die Feiertage nach Todtnau, nahe des Feldbergs im Schwarzwald, in unseren geliebten Winterurlaub gefahren, Dank meines kleinen Sehrestes und der Begleitung meiner Frau und meiner Tochter ist es mir noch sehr gut möglich, mit sehr großer Freude, Langlauf zu betreiben.
So ging es auch am Heiligen Abend mit viel Spaß in die Loipen. Wir wollten nach dem Langlauf, wie jedes Jahr, in die Weihnachtsmette. Deshalb ging es nach dem Skivergnügen etwas hektisch zu. Schnell in andere Klamotten und die blank geputzten Sonntagsschuhe an, die neben den abgestellten Langlaufschuhen standen, und ab in die Kirche. Der kurze Weg war ziemlich verschneit, und wir rutschten wie die Skifahrer durch die Straßen. Vor der Kirche spielte feierlich eine Blaskappelle Weihnachtslieder, und wir kamen so richtig in Weihnachtsstimmung. Als wir die Kirche betraten, war diese bereits sehr voll, und wir mussten ganz hinten stehen.
Es fiel mir beiläufig auf, dass meine Frau mit meiner Tochter irgendetwas sehr Lustiges zu tuscheln hatte. Ich horchte um mich, konnte aber selbst nichts Lustiges hören oder merken. Ich gab mich also wieder voll der bereits begonnenen feierlichen Weihnachtsmette hin. Im Laufe der Zeit hatte ich das Gefühl, als ob ich irgendwie schief stehen würde. Oder war mein rechtes Bein plötzlich kürzer geworden? Jedenfalls kam ich mir leicht nach rechts neigend und schief vor. Da die Kirche nicht gut beleuchtet war, konnte ich nicht bis auf meine Schuhe sehen. Deshalb versuchte ich, im Stehen mit dem linken Fuß meinen rechten Fuß zu befühlen, weil mir der Gedanke kam, ich hätte am rechten Schuh die Sohle verloren. Dies gelang mir aber nicht, da ich bei diesem Versuch drohte umzufallen.
Nun war es an der Zeit die Kommunion zu empfangen. Rechts und links flankiert von Frau und Tochter schritten wir, ich wieder leicht nach rechts hängend, durch die ganze Kirche.
Plötzlich schoss mir ein fürchterlicher Gedanke durch den Kopf, aber jetzt waren wir unterwegs und zur Umkehr war es zu spät. Nach der Mette fielen mir, Frau und Tochter um den Hals und sagten: "Du hast an deinem linken Fuß einen schönen schwarzen Sonntagsschuh und an deinem rechten Fuß einen blauen Langlaufschuh an. Fröhliche Weihnachten!"
Aus: "Die Gegenwart", Zeitschrift des DBSV, Nr. 2, Februar 2001.
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Erstellt am Di, 01.01.02, 07:46:09 Uhr.
URL: http://anderssehen.at/alltag/berichte/langlauf.shtml