Ich bin Anfang Dreißig, seit 24 Monaten ohne Lichtwahrnehmung. Bin Akademikerin, berufstätig und mache eine Weiterbildung im medizinischen Bereich.
In meiner Freizeit steht an erster Stelle meine Stammpinte (Scenelokal mit gehobenem Publikum). Danach folgt mein täglicher Jogginglauf, die Arbeit in meinem Garten, mein Haus und meine Freunde und Bekannte.
Ich bin sehr unternehmungslustig. Liebe Museen, Rock- und Klassikkonzerte, Theatervorstellungen und Discos. Verschlinge momentan "auf der Bettkante" Literatur. Interessiere mich schon immer für Politik.
Liebe es trendy angezogen zu sein, wenn die Vorschläge meiner Kosmetikerin auf Resonanz treffen und wenn ich mich von meiner Frisöse so richtig verwöhnen lassen kann.
Momentan möchte ich keine Partnerschaft, da ich die Letzte noch verdauen muss. Mein früherer Mann war von Beruf Arzt.
Ich fühle mich nicht als behindert. Bin ich auch nicht, obwohl ich keinerlei Lichtwahrnehmung mehr habe. Behinderungen werden doch nur von Außen suggeriert. Am besten man denkt nicht an dieses Wort und lebt wie alle Anderen mit dem gleichen Selbstverständnis.
Mir ist dabei folgendes aufgefallen:
Früher haben mir unsympathische Menschen gesagt oder gezeigt, dass sie mich nicht riechen konnten. Heute sagen sie einfach, ich sei ja "behindert". Witzig, dann braucht man nicht so viel Rhetorik und Mühe sich auszudrücken. Das ist ebenso bei weiblichen Rivalinnen. Früher war es das Make up. Heute signalisiert man auf meinen Stock und dass ich ja wohl pflegebedürftig sein müsse. Witzig.
In solchen Situationen ist es das Beste das Kind beim Namen zu nennen. Dann kehrt wieder gleichrangige Ruhe ein. Und man selber fühlt sich nicht als "armes Hascherl".
Außerdem gehe ich weg von dieser unvernünftigen Blindensolidarität. Das heißt nicht, dass ich nicht jedem mit dem gleichen Gesichtsfeld helfe. Doch ich gehe nicht so weit und halte meinen Mund, wenn schwache Persönlichkeiten meinen, durch Runtergucken auf mich, sich stark zu fühlen.
Ferner suche ich mir meine Freunde und Bekannte nach Sympathie und nicht nach Gesichts-, Geh- oder sonstigen Feldern aus.
Da ich einen vernünftigen und fitten Mobilitätstrainer hatte, lebe ich mein Leben wie vor meiner Erblindung. Es ist manchmal zwar verdammt schwer, aber ich habe es geschafft!! Lebe ohne externe Hilfen oder so.
Der Spruch meines Trainers ist: "Geht nicht, gibt es nicht!"
Erstellt am Mo, 15.07.02, 09:01:19 Uhr.
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