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Wie erkennen blinde Menschen das Geld?

Als ob blinde Menschen nicht seit eh und je mit dem Problem konfrontiert gewesen wären, die gängigen Zahlungsmittel eindeutig zu identifizieren - ein Hauch von Ironie sei mir an dieser Stelle gestattet -, werde ich sowohl in der Firma als auch bei Gasthausbesuchen ausgerechnet seit der Umstellung auf den Euro des Öfteren gefragt, wie ich als Blinder das Geld erkenne. Das kommt wahrscheinlich daher, dass auch die Sehenden erhebliche Schwierigkeiten haben, mit der neuen Währung zurechtzukommen, zumal einerseits mehr Scheine und Münzen als vorher zum Einsatz kommen und andererseits die gewohnte Werteskala im Kopf herumschwirrt, weshalb sich zuerst einmal das Gefühl entwickeln muss, was nun billig und was teuer ist.

Wenn ich einen Strich unter die vielen Gespräche mit interessierten Sehenden ziehe, ergibt sich sinngemäß folgender Dialog:

"Wie machst du das jetzt mit dem Euro?"
"Eigentlich gleich wie mit dem Schilling: Ich taste das Geld ab."
"Woran erkennst du die unterschiede?"
"Die Euro-Münzen haben gut unterscheidbare Rändelungen:
Die drei "Zwerge" sind am Rand glatt, wobei die 2-Cent-Münze eine rundum laufende Einkerbung aufweist und die 5-Cent-Münze ist wesentlich größer als die anderen beiden.
Die 10-Cent- und die 50-Cent-Münze haben eine grobe Rändelung und sind aufgrund ihres eindeutigen Größenunterschiedes leicht auseinander zu halten.
Die 20-Cent-Münze hat sieben gut fühlbare Einkerbungen - das nennt man im Fachjargon "Spanische Blume" - und kann dadurch nicht mit einer anderen verwechselt werden.
Ein wenig aufpassen muss man bei den Münzen mit höherem Nennwert, weil der Größenunterschied zwischen der 1- und 2-Euro-Münze nicht besonders groß ist. Aber auch da kann man mit einem durchschnittlichen Tastgefühl den Unterschied der feinen Rändelung erkennen: Bei der 1-Euro-Münze ist sie dreimal durch einen glatten Rand unterbrochen, bei der anderen ist sie durchgehend."
"Tatsächlich, das spüre sogar ich! Darauf habe ich ja noch gar nicht geachtet. - Ist der Rand in allen Euro-Ländern gleich?"
"Ja, und deshalb spielt es keine Rolle, woher die Euro-Münze stammt."
"Und ich als Sehender muss sie umdrehen, wenn man mir eine Münze mit der Rückseite nach oben auf den Tisch legt... - So weit, so gut, aber wie geht das mit dem Papiergeld, gibt's da auch etwas zum Abtasten?"
"Die Banknoten werden, nach Größen geordnet, immer länger und breiter, wobei die Breite nur bis zum Hunderter zunimmt. Geübte Blinde machen zwischen Mittel- und Zeigefinger eine Breitenmessung und wissen mit großer Sicherheit, welchen Nennwert eine Euro-Banknote hat. Da der Zweihunderter und der Fünfhunderter gleich breit wie der Hunderter sind, befinden sich gut tastbare Merkmale auf den beiden großen Scheinen. - Hast du zufällig einen solchen dabei?"
"Könnte sein. Warte mal. - Ja, da habe ich einen. Was ist das?"
"Das ist ganz klar ein Zweihunderter."
"Woran erkennst du das so schnell - und vor allem so eindeutig? Es hätte doch auch eine Fremdwährung sein können."
"Ich habe als Erstes abgetastet, ob auf den Schmalseiten schweißtreibende Streifen zu spüren sind, wie das bei allen halbwegs intakten Euro-Scheinen der Fall ist; gewaschene und extrem abgegriffene kann ich auf diese Weise nicht mehr eindeutig als echt erkennen und verweigere somit die Annahme. Da sich diese Merkmale auf der Rückseite befanden, habe ich die Banknote umgedreht und so in die Hand genommen, dass der breitere Glanzstreifen auf der rechten Seite ist. Wenn ich unten mit einer Fingerkuppe von der Mitte nach rechts über das Papier gleite, spüre ich eine Schraffierung."
"Ja, stimmt! Und wie erkennst du einen Fünfhunderter? Der ist doch gleich breit. Nur länger, wie du sagst."
"Der Fünfhunderter hat auch eine tastbare Schraffierung, aber die ist auf dem glänzenden Streifen der rechten Schmalseite aufgedruckt."
"Da staunt der Laie. - Wie bist du auf diese Erkennungsmerkmale gekommen, hat es dafür kurse gegeben?"
"Ich habe mich schon im Vorfeld dafür interessiert, weil ich die ewige Umwechslerei satt hatte, und nebenbei war ich Euro-Trainer für Blinde und Sehbehinderte."
"Dann ist mir schon klar, warum du dich so gut damit zurechtfindest."
"Es gab auch gelehrige Schüler."

Der Cashtest

"Es gibt aber bestimmt auch Blinde, die nicht so ein ausgeprägtes Tastgefühl haben."
"Das ist richtig. Deshalb gibt es eine Messschablone namens Cashtest im Kreditkartenformat, mit der man die Geldscheine der Länge und der Breite nach untersuchen kann, ob es sich von der Größe her um Euro-Scheine handelt, und wenn ja, um welche. Außerdem befindet sich auf der Rückseite ein konischer Einschubkanal, mit dem man die Münzen prüfen kann."
"Zeigst du mir, wie das mit dem Cashtest funktioniert?"
"Aber gern..."

Helmut Ritter

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© 2002 by Helmut Ritter, Andelsbuch
Erstellt am Mo, 13.05.02, 07:46:09 Uhr.
URL: http://anderssehen.at/alltag/berichte/geld.shtml

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