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Anna Nussthaler

Ich befinde mich gerade mitten in einer Schachmeisterschaft, bei der ich eigentlich nichts zu suchen hätte, da ich sehr schlecht spiele. Die letzte Partie, die ich vor zehn Minuten beendete, wurde mir wieder einmal zum Verhängnis, da mein König matt gesetzt wurde. Zur Meisterschaft komme ich nicht nur des Spieles wegen, sondern auch aus gesellschaftlichen Gründen mit den netten Schachspielern.

Derlei Dinge kommen meinem Wesen sehr entgegen, da ich ein fröhlicher Mensch bin. Ich werde zwar oft wild - wer kennt das nicht - doch bin ich schnell wieder gut gelaunt. Mich freut es auch, zu helfen, wenn jemand mich braucht. Auch versuche ich immer, meine Mitmenschen zu erheitern; auch wenn ich dann und wann jemanden auf den Arm nehme, ist das nicht bös gemeint. Auch mein Mann - ich bin seit neun Jahren glücklich verheiratet - liebt meine Heiterkeit und meine Späße. Selbst wenn ich mit ihm schimpfe; anstatt er betroffen ist, lacht er mich aus und meint, ich schimpfe so witzig! Naja, alle lachen auch, wenn ich eigene Schimpfwörter kreiere. Damit nehmen sie mir wieder den Wind aus den Segeln.

Nun komme ich wieder zurück zum Schach und meinen Hobbies. Da ich vollzeitbeschäftigt bin und den Haushalt allein und mit Vergnügen bewältige - ich bügle sogar gern - kommen meine Freizeitvergnügungen immer etwas zu kurz.

Ich lese und schreibe gern, liebe Musik aktiv und passiv, ich spiele irgendwie Klavier, Orgel und Ziehharmonika. Da mir der Beruf die Stimme beleidigt hat, kann ich nicht mehr singen, was ich in der Jugend leidenschaftlich betrieben habe.

Ich liebe das Kegeln, Wandern und auch die Gymnastik, die ich meiner Figur wegen betreiben muß, da ich etwas bullig bin. Das hat allerdings nicht nur Nachteile. Wenn mich jemand über den Haufen rennt, kriegt er manche Probleme. Auch beteiligte ich mich an einem Selbstverteidigungskurs, wobei mir die gewichtige Gestalt sehr nützte. Aus diesen Gründen trage ich auch den Namen "Hupra", der aus den Wörtern Hufe und Pranken zusammengesetzt wird.

Was mag ich nicht:
Den Computer. Ich verstehe ihn nicht, liebe ihn nicht, er liebt mich auch nicht und spielt mir allerhand Streiche. Leider ist er im Beruf schon unentbehrlich. Eigentlich bin ich überhaupt ein technisches Wunderkind. Ich besitze deswegen auch noch kein Handy. Ist aber nur noch eine Frage der Zeit.

Was mag ich noch nicht? Vor vielen Leuten reden. Im Vordergrund stehen - ich agiere lieber rückwärts, also bin ich hinterlistig.

Wenn es ums Reisen geht, das ich sehr gern betreibe, hasse ich das Fliegen. Ich war allerdings schon notgedrungen in Amerika, da meine Tochter dort lebt. Auch habe ich es nicht mit Fremdsprachen und Fremdwörtern, obwohl ich mich insgesamt ganz gut anpassen kann.

Theater-, Konzert- und Opernbesuche gehören zu meinen Ausgangstouren. Allein allerdings ungern. In Gesellschaft macht es mehr Spaß. Auch das Einkaufen ist zu zweit lustiger. Wir betreiben dabei auch Öffentlichkeitsarbeit; zeigen, wie wir mit dem Geld umgehen, oder machen ulkige Sachen. Dabei kommt immer wieder eine meiner Eigenheiten zu Tage. Ich räume unterwegs auf! Schließlich ist ein Gehsteig keine Rumpelkammer. Mülleimer neben akustischen Signalgebern sind hinderlich. Auch kantige Müllungetüme zu nahe an Straßenbahn- und Bushaltestellen werden beiseite gerückt. Wenn Verkehrsampeln über einen längeren Zeitpunkt nicht auf grün schalten, werden sie an der Stange wachgerüttelt ...

Nun mein persönlicher Werdegang:
Von Geburt an schwerst sehbehindert, wuchs ich im schönsten Bergdorf Österreichs, in Werfenweng, auf. Warum ich dann dort nicht geblieben bin? Ein Blinder oder Sehbehinderter könnte dort kein selbstbestimmtes Leben führen. Wenig, bis gar keine Arbeitsmöglichkeiten, dreimal am Tag eine Busverbindung zur Bahn, was nützt da die Verkehrsberuhigung mit dem Verleih von Elektroautos und Fahrrädern, wenn ich sie erst recht nicht benützen darf?

So besuchte ich nach der Volksschule zu Hause die Hauptschule im Wiener Blindeninstitut und absolvierte den Telefonistenlehrgang.

Dann ging's ab in die Arbeit nach Salzburg, Wien und zum guten Abschluß aus Liebe zu Edi, meinem Göttergatten, nach Graz.

Meine Vereinsarbeit besteht in der Anwesenheit in einer Selbsthilfegruppe für Blinde und Sehbehinderte und der Mitarbeit im Verkehrsgremium für Graz.

Neben vielen Problemen, für deren Bewältigung ich als schwerst Sehbehinderte viel Energie brauche und auch habe, führe ich ein weitgehend selbstbestimmtes, glückliches Leben.


Veröffentlichte Texte auf anderssehen.at

Erstellt am Fr, 07.06.02, 12:01:19 Uhr.
URL: http://anderssehen.at/autoren/anni.shtml

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